Literatur/ Presse

Gabriele D'Annunzio  
Gabriele D'Annunzio (geb. 1863 in Pescara, gest. 1938 in Gardone) war ein ita­lie­nischer Schrift­steller, Dich­ter, Journalist, Soldat und Politiker und der wich­tigste Vertreter der De­ka­denz­dich­tung, wie man die lite­ra­ri­schen Strö­mun­gen der Jahr­hun­dert­wen­de (1900) be­zeich­ne­te. In sei­nem reich­hal­ti­gen Werk, wel­ches Ly­rik, Epik und Dra­men be­inhaltet, zeigte er sich stark von Fried­rich Nietzsches Phi­lo­sophie des „Übermenschen" beeinflusst.
Er war auch ein italienischer Natio­nalist und be­für­wortete den Eintritt Italiens in den Ers­ten Welt­krieg, in dem er sich auch persönlich als „Coman­dante“ an Kampf­handlungen be­teiligte. Auf­sehen­er­re­gend war sein Flug über Wien, bei dem er während des Kriegs Flugblätter über der Stadt abwarf. Deshalb gilt er in Italien auch heute noch als Kriegsheld des Ersten Weltkriegs.
Seine Besetzung der Stadt Fiume (heute: Rijeka) im Jahr 1919 war eine Reaktion auf den Vertrag von Versailles, wegen dem man in Italien von „Vittoria mutilata“ ("Ver­stümmeltem Sieg") sprach, da Italien als eine der Siegermmächte nicht alle erhofften Gebiete zu­ge­spro­chen bekommen hatte.

Lust (Gabriele d'Annunzio) Das Feuer  (Gabriele d'Annunzio) Italienische Gedichte
Lust Das Feuer Italienische Ge­dich­te [/]

La pioggia nel pineto (Der Regen im Pinienhain) ist eines der schön­sten (und daher bekann­tes­ten) Ge­dichte von d'Annunzio. Es gleicht fast einer Mu­sik­kom­po­si­tion oder einer großen Symphonie von Klängen wegen der auf­merk­sa­men Art wie die Klänge und Geräusche, die von den Regentropfen er­zeugt werden, als sie auf die Vege­ta­tion niederprasseln, wiederge­ge­ben wer­den. Eine aufmerksame Beschreibung des Grüns mithilfe der na­men­tlichen Nennung der verschiedenen Wald­pflanzen nimmt die vielfältigen Nuancen ihrer Farben wahr.
Inspirieren ließ sich d'Annunzio von einem Spa­zier­gang im Pinienwald an der Versilia (dem nördlichen Teil der toskanischen Küste) in Gesellschaft seiner Geliebten, wäh­rend der Regen auf die Baumkronen prasselte und die som­mer­liche Hitze neu­es Leben eingehaucht bekam. Fast sah es so aus, als wür­den die Geliebten mit der Vegetation und den Bildern und Düften des Waldes zu­sam­menschmelzen.
In der deutschen Übersetzung sind zwar die Inhalte und der Rhythmus ein­wand­frei und treffend wie­der­gegeben, vieles von den Stimmungen aber, die vom Klang der an Vokalen reichen und kürzeren ita­lie­nischen Wörter erzeugt werden, ist verloren ge­gan­gen. Hier muss­te der deutsche Übersetzer leider (schuldlos) kapitulieren.

Der Regen im Pinienhain       
Schweige. Auf der Schwelle
des Waldes höre ich
die menschlichen Worte nicht,
die du sagst. Aber ich höre
neue Worte;
die von weit entfernten Tropfen und Blättern erzählen.
Höre. Es regnet
aus zerrissenen Wolken.
Es regnet
auf salzige, trockene
Tamarisken,
Es regnet
auf die schuppigen und stacheligen Pinien;
Es regnet
auf die göttliche Myrthe,
auf die unzähligen Blüten des leuchtenden Ginsters,
auf Wacholder voller duftenden Beeren,
Es regnet
auf unsere waldesgleichen Gesichter,
Es regnet
auf unsere bloßen Hände,
auf unser leichtes Gewand,
auf die reinen Gedanken,
die den neuen Geist erwachen lassen,
auf das schöne Märchen,
das gestern dich verzauberte, das heute mich verzaubert.
Oh Ermione.
Hörst du? Der Regen fällt,
auf das verlassene Grün,
Mit einem endlosen, wechselnden Plätschern in der Luft,
je nachdem ob das Laub dichter ist
oder weniger dicht.
Höre. Es antwortet
auf den Regen der Gesang
der Zikaden,
die sich weder durch südliches Rauschen
noch durch den grauen Himmel
abschrecken lassen.
Und die Pinie
erklingt und die Myrte
erklingt anders und der Wacholder
wieder anders, verschiedene Instrumente
unter unzähligen Fingerschlägen.
Und verschlungen
sind wir im Waldgeist,
eines Baumes gleich lebend;
Und dein nasses Gesicht
gleicht einem von Regentropfen
bespicktem Blatt,
und deine Haare
verbreiten den Duft
leuchtendes Ginsters,
ich du Nymphe des Waldes,
die du den Namen Ermione trägst
Höre, höre. Der Ton
der luftigen Zikaden
wird nach und nach
dumpfer
unter heftigerem Regen;
aber ein Gesang mischt sich ein
der rauer ist
und von dort hinten kommt,
aus feuchten verborgenen Schatten.
Dumpfer und schwächer werdend
verklingt er.
Nur eine Note
schwingt noch und verklingt,
blüht wieder auf, schwingt und verklingt.
Man hört das Rauschen der Wellen nicht.
Jetzt hört man auf allen Blättern
den silbernen Regen prasseln,
der wäscht,
und das Prasseln
das sich im dichter
oder weniger dichten Laub verändert.
Höre.
Die Tochter der Lüfte schweigt, die Tochter der Erde jedoch,
die Unke,
singt im entfernten Schatten!
Wo nur – wo?
Und der Regen fällt auf deine Wimpern,
Ermione!
Er benetzt deine schwarzen Wimpern,
als weintest du aus Freude;
einem Baum entsprungen scheinst du.
Und das ganze Leben in uns ist jung und frisch,
und das Herz wie eine unberührte Frucht,
deine Augen gleichen Quellen in der Wiese,
deine Zähne bitt’ren Mandeln.
Eng umschlungen oder gelöst
wandeln wir durch das Dickicht.
Fast umschlingt das kräft’ge Grün uns’re Knöchel,
rankt sich um uns’re Knie
wo nur – wo?
Es regnet
auf unsere waldesgleichen Gesichter,
es regnet auf unsere bloßen Hände,
auf unser leichtes Gewand,
auf die reinen Gedanken,
die den neuen Geist erwachen lassen,
auf das schöne Märchen,
das gestern dich verzauberte,
das heute mich verzaubert.
Oh Ermione.
 
 
Italienische Lyrik
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