Ruhige Tage in Candelara
Candelara, wo liegt das überhaupt? Der Ort, die erste Etappe meiner Italienreise, ist eine kleine Fraktion der Stadt Pesaro, die in der Region Marche liegt. Ich bin zu Gast bei Piero, einem guten alten Freund, der sich hier, an der Stätte seiner Kindheit und frü­hen Jugend ab und zu ein paar ruhige Tage gönnt.
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Es ist die beschauliche Welt, die ich teilweise noch selbst erleben konnte, öfters aber mir selbst beim Lesen der Gedichte von Leopardi, Pascoli, Carducci und anderen Lyri­kern des 19. Jahrhunderts in der Fantasie zusammenfügt habe. Ländliche Welten, in denen Langsamkeit der einzige Rhythmus war, die Sonne den Tagesablauf bestimmte, die Menschen in Großfamilien lebten und Volksschüler noch im Schulkittel beim Unterricht erschienen. Als die Ochsen auf den Feldern noch ein Gefühl von Kraft und Frieden ein­flößen konnten, weil die Gedanken, unbehelligt von der perfiden Saat der Motori­sie­rung, dem Lärm, noch im "Unermesslichen versinken" konnten.
Landschaft bei Candelara
Es sind erwartungsgemäß ruhige Tage, die wir hier ver­bringen, aber darin liegt auch ein großer Teil ihres Char­mes. Die Eindrücke, die ich während dieses Aufenthalts gewinne, sind schlicht und unau­dringlich, nicht laut und präten­tiös. Hier in Candelara führt nur das all­ge­gen­wär­tige Auto gedanklich zurück ins Italien der Kon­sum­ge­sell­schaft. Nur wer, wie Piero, den Ort seit län­gerem kennt, weiß von den diskre­ten Verän­de­rungen zu be­richten, die seine Struktur und seine Menschen in den letzten Jahr­zehnten erlebten. Wer als Kind hier frei herum tollen konnte, wird bemerkt haben, wie viel Feldwege in­zwi­schen asphaltiert wurden, wie viel Mauern und Zäune hoch­gezogen wurden und wie sehr die bescheidenen bäuerlichen Höfe zu Vorort­villen von Städtern mutiert sind und, nicht selten von aggres­si­ven knur­renden Hunden bewacht, quasi den Charakter von Trutz­burgen bekommen haben.
Abend in Candelara
Abends ist die Bar verwaist, nur ältere Männer beim Kar­ten­spielen. Die Jugend sucht die Diskos und Knei­pen der Stadt auf. Ein Ort als Schlaf­stätte. In diesen regne­rischen Vor­früh­lings­tagen strahl er Melan­cholie und Welt­ab­ge­schie­den­heit aus. Wenn ich im blauen Licht der Dämmerung in den stillen Gassen Candelaras herumbummle, kann ich mir fast schon den Winter vorstellen und das alljährlich in der zweiten Dezem­ber­woche statt­fin­dende Kerz­enfest (das einzige Fest in Italien, übrigens, das aus­schließ­lich den Bienen­wachs­ker­zen gewidmet ist). In diesen Tagen, wenn Can­de­lara in den Abend­stunden nur noch von den Kerzen be­leuch­tet wird, steigert sich ver­mutlich der Flair dieses kleinen ver­träumten Ortes ins „Uner­messliche&ädquo;. Sofern – das könnte auch sein – nicht die Men­schen­massen genau das Gegen­teil bewirken.