In Hinterland von Bordighera (Blumenriviera) liegt auf einer Bergspitze (500 m) der fast tausend Jahre alte Ort Seborga. Der Ort wurde als Castrum de Sepulchro erstmals im Jahre 954 in einer Urkunde erwähnt. Wie einst ein kleines gallisches Dorf im Nordwesten der Bretagne den Römern Widerstand leistete, so besteht heute der kleine Ort (275 Einwohner) auf seine Unabhängigkeit von Rom und der Republik Italien.
Das geht so weit, dass die Gemeinde eine eigene Währung, einen eigenen Pass und eine eigene Hymne hat und einen „Prinzen“ auf Zeit wählt.
Seit Anfang der 1960er Jahre erhebt Giorgio Carbone der Geschäftsführer der lokalen Blumenhändlergemeinschaft, zusammen mit einer Gruppe von Bürgern Seborgas, wegen eines vermeintlichen Status als Fürstentum (Principato), das Seborga im Mittelalter gehabt haben soll, den Anspruch auf die Unabhängigkeit ihrer Gemeinde von Italien. Sie begründen dies mittels historischer Dokumente, nach denen Seborga weder beim Wiener Kongress dem Königreich Sardinien unterstellt wurde, noch 1861 bei der Vereinigung Italien dabei war, noch bei Gründung der Italienischen Republik im Jahr 1946 der italienischen Staatsmacht unterstellt wurde. Deshalb sei Seborga völkerrechtlich nicht Teil des italienischen Staates.
1963 waren die Bewohner des kleinen „borgo“ dann so weit. Sie wählten Giorgio Carbone zu ihrem Staatsoberhaupt. Er nahm den Titel Giorgio I., Fürst von Seborga an.
Carbones Status as „Principe“ wurde am 23. April 1995 bestätigt, als die Einwohner Seborgas in einem Referendum mit großer Mehrheit für die Ausrufung des „Principato“ (Fürstentums) und die Unabhängigkeit von Italien stimmten.
TIPP: Der Ort ist Mitglied der Vereinigung „I borghi più belli d’Italia“ („Die schönsten Orte Italiens“). Kein Wunder also, dass Seborga an Sommerwochenenden total überlaufen ist. Der späte Nachmittag (wenn die Touristen wieder alle weg sind) oder schöne Winter- oder Herbsttage sind zu empfehlen. Bei klarem Wetter ist die Aussicht spektakulär, sie geht bis weit über die französische Grenze hinweg.
Seborga ist mit den mysteriösen Geschichten der Tempelritter verbunden. Es scheint sicher zu sein, dass der Heilige Bernhard von Clairvaux, der Gründer des Templerordens, im Jahr 1117 die ersten neun Ritter in der Kirche geweiht hat, die jetzt ihm geweiht ist. Zehn Jahre später kehrten die Ritter in größerer Anzahl nach Seborga zurück, wo sie den Gründer des Ordens trafen. Ebenfalls in Seborga wurde der erste Großmeister, Hugues de Pain, gewählt, und hier schwor er, das „Große Geheimnis“, das größte Mysterium in der Geschichte dieser Ritter, zu bewahren.
Bernhard von Clairvaux selbst ließ in Seborga eine kleine Kultstätte errichten, um seinen Weg zu bezeugen, und an dieser Stelle steht heute die Kapelle von Bernhard dem Älteren, die noch heute am Eingang des Dorfes zu sehen ist.
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Seitdem wählen die Bürger von Seborga ihren „Prinzen“, der rein symbolische Aufgaben innehat. Giorgio I. „herrschte“ von 1963 bis 2009. Ab dem 25. April 2010 „herrschte“ Marcello I. (Marcello Menegatto), der von einem Kabinett von neun Ministern unterstützt wird. Marcello I. stammt aus einer Industriellenfamilie aus dem Tessin.
Die bildhübsche Ehefrau des „Fürsten" Marcello I. heißt Nina und stammt aus dem Allgäu, genauer gesagt aus Kempten. Mit 14 lernte Nina Döbler Marcello in einem Internat im Schweizer Montreux kennen, sie verliebten sich und heirateten. Nach ihrer Hochzeit (in bayerischer Tracht) zogen sie nach Seborga, um dort einen Bauernhof zu eröffnen. Weil „Fürstin“ Nina Menegatto sehr gebildet ist und vier Sprachen spricht, wurde sie zur „Außenministerin“ ernannt.
Die deutsche Prinzessin und ihr italienischer „Fürstentum“
Am Donnerstag, dem 20. August 2020 wurde Nina Menegatto zur Fürstin von Seborga gekrönt. Bereits im November war sie von den Einwohnern des „Fürstentums“ zur neuen Regentin gewählt. Wegen Corona fand die Krönung aber erst später statt. Nun ist Nina die „Principessa di Seborga“ (Prinzessin, bzw. Fürstin von Seborga).
Italien hat die Unabhängigkeitserklärung nie ernst genommen und deshalb niemals rechtliche Schritte dagegen unternommen. Die italienische Rechtsordnung ist de jure und de facto in der Gemeinde in vollem Umfang gültig. Bis heute hat sich der italienische Staat nie um einen eindeutigen Beweis für die Zugehörigkeit Seborgas zu seinem Staatsgebiet bemüht und es augenzwinkernd den Bewohnern überlassen, aus der Legende Kapital zu schlagen.
Die Parochialkirche (Chiesa parrocchiale di San Martino) wurde zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert errichtet. Die barocke Fassade mit Wandgemälden von 1928 wurde 2006 restauriert.
Das Innere der Kirche, von bescheidenen Ausmaßen, hat den Hauptaltar, der San Martino di Tours gewidmet ist, und zwei Seitenaltäre, die dem Heiligen Herzen und der Rosenkranzmadonna gewidmet sind. An den Seiten des einzigen Eingangs befinden sich ein Beichtstuhl und das Taufbecken. In der Nähe des Hochaltars befindet sich in einer Nische eine Holzstatue, die die Madonna mit Kind darstellt und aufgrund ihres Stils auf eine Zeit zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert datiert wird. Andere Bildwerke schmücken die Kirche und stammen aus dem 17. Jahrhundert, unter anderen der Heilige Sebastian .
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Die kleine Gemeinde profitierte nämlich tou&shay;ristisch von dem Bekanntheitsgrad, den sie durch die Medienberichte erhalten hat. Das „Antike Fürstentum Seborga“ ist heute eine profitable Touristenattraktion. Sogar National Geographic war schon da. Und es wird fleißig am Mythos weitergestrickt.
Zwischen 1994 und 1996 wurde in Seborga eine Kopie der alten Währung aus dem XVII. Jahrhundert, des Luigino, geprägt, welcher als Ersatzwährung von Geschäften innerhalb des „Fürstentums" akzeptiert wird und inzwischen bei Münzsammlern sehr beliebt ist, jedoch kein gesetzliches Zahlungsmittel darstellt. Der offizielle Wechselkurs des Luigino entspricht 6 US$. Darüber hinaus werden weitere Souvenirartikel des Fürstentums wie nicht amtliche Briefmarken, Fantasie-Ausweispapiere sowie Autokennzeichen ausgegeben. Letztere dürfen aber nur neben den offiziellen italienischen PKW-Kennzeichen angebracht werden.
Neben Italien, Monaco, Frankreich, Luxemburg und Belgien gibt es inzwischen auch in München ein Honorarkonsulat des „Fürstentums" . Oder sollte man eher von „einem Tourismusverein“ sprechen? Denn die behauptete Unabhängigkeit des „Principato“ sei, so denken viele, nur ein Werbegag, um Touristen und Investoren anzulocken.
Man mag die 300-Einwohner-Gemeinde dieses Kuriosums wegen besuchen wollen, aber die Schönheit des malerisch auf einem Felsen gelegenen Dorfes, vor allem zur Mimosen- und Ginsterblüte, ist allemal ein Besuch wert.