In Süditalien,
hauptsächlich in Kampanien, Kalabrien,
den Abruzzen und in Lukanien, (i.W. der heutign
Basilicata entsprechend) war das brigantaggio,
das Brigantenwesen zunächst nur ein Unwesen von Banditen,
die vor allem durchreisende Kutschen überfielen. Nach der
Einigung Italiens 1861 wurde daraus eine politische Bewegung.
Von ihren Gegnern wurden demnach auch Kämpfer, Partisanen
und Aufständische als Briganten bezeichnet, im
abwertenden Sinn von „Banditen“.
Bereits während den Napoleonischen Kriegen nannte man
auch die Soldaten des Königreichs beider Sizilien,
die zusammen mit den Widerstand Leistenden
aus dem Volk gegen die Franzosen kämpften, Briganten.
Im Oktober 1860 wurde
das Königreich der beiden Sizilien durch die Truppen
Garibaldis besiegt, was zur Annexionan das Königreich
Piemont-Sardinien führte und schließlich
zum Königreich Italien.
Das alte Regime der Bourbonen wurde durch die Truppen
Garibaldis gestürzt. Bei den verarmten
Massen weckte dies anfänglich die Hoffnung nach
einer Änderung der sozialen Verhältnisse. Diese
wurde aber sehr bald enttäuscht, denn die neue italienische
Regierung, die 1861 an die Macht kam, setzte nur die Interessen
der Bourgoisie und der Großgrundbesitzer durch.
Wegen der Enttäuschung
über die nicht eingehaltenen Versprechungen von Demokratisierung
und Landreform rekrutierten sich deshalb die Briganten-Banden
dieser Zeit nicht mehr nur aus gewöhnlichen Verbrechern,
sondern auch aus ehemaligen Soldaten des Bourbonen-Regimes und
aus den so genannten cafoni, verarmten Bauern,
die gegen die reichen Großgrundbesitzer
revoltierten. Diese hatten unter dem neuen Regime nicht nur
ihre Latifundien behalten, sondern sie auch erweitern können
durch Staatsgrundstücke, der privatisiert wurden und so
den ärmeren Bauern nicht mehr zur Verfügung standen.
Auch die Zwangsrekrutierungen der Armee des italienischen
Königreichs (acht Jahre Wehrdienst!) und
die erhöhte Besteuerung führten viele Menschen
in die Arme der Briganten.
Fotos berühmter
Briganten
Carmine Crocco
Donatelli genannt „re dei re“
(König der Könige)
Michele
Schirò, der
Bande Casaletta
Bernardo Colamattei
in einer Aufnahme von 1868
Teresa Ciminelli,
Frau von Giuseppe Antonio Franco
Pagliuchella,
Leutnant des Bandenchefs Cicco Cianci
Filomena
Pennacchio, Giuseppa Vitale und Giovanna Vito
Von den Wäldern aus
bekämpften sie vor allem die Landbesitzer und die Obrigkeit.
Carmine Crocco, im Volk „re dei re“
(König der Könige) genannt, befehligte zeitweise
43 Banden mit mehreren Tausenden Mitgliedern. Die
Geschichten um die Heldentaten der Bandenmitglieder
und ihrer Frauen, der so genannten brigantesse, verklärten
die Briganten zu Volkshelden wie Robin Hood. Crocco,
der fast vierzig Jahre lang (bis zu seinem Tod im Jahr 1905)
in Haft blieb, schrieb dort seine noch heute iim Süden
Italiens viel gelesenen Memoiren.
Die Briganten
Cosma und die Briganten (Alberto Moravia)
Um das Brigantenwesen
zu bekämpfen, bzw. um jeglichen Widerstand gegen das Savoia-Königreich
zu brechen, wurde 1863 das berüchtigte „Pica“-
Gesetz verabschiedet. Das Gesetzt bestrafte nicht nur die
Briganten, sondern auch ihre Familienangehörige und
bloße Verdächtige. Die Umsetzung des Gesetzes
war brutal. Summarische Erschießungen und
Inbrandsetzung der Dörfer, die den Briganten
Zuflucht gewährt hatten (oder unter diesen Verdacht
standen), waren an der Tagesordnung. Das Gesetz „beseitigte"
mittels Erschießungen, Gestorbenen bei Kampfhandlungen
und Festnahmen etwa 14.000 Briganten oder vermeintliche
Briganten.
Der Brigant Crocco, Freiheitskämpfer
Wer das Brigantenwesen wirklich verstehen will, muss erfahren,
mit welcher Brutalität die Truppen des Königs im
Süden Italien vorgingen: Ein Beispiel sind die Gräueltaten
der Besatzungstruppen in Pontelandolfo, Campolattaro
und Casalduni. Diese Dörfer erlangten traurigen
Ruhm, weil sie zur Stätte eines schrecklichen Massakers
wurden, die vom italienischen Heer als Vergeltung für
die Tötung eines Offiziers, 40 Soldaten und 4 Carabinieri
verübt wurde. Ein Bataillon von 500 Bersaglieri
zerstörte in einem einzigen Tag Pontelandolfo,
das bis zu den Grundmauern verbrannte. Tausende unschuldige
Einwohner wurden getötet, Frauen vergewaltigt, der Ort
ausgeplündert.
Viele Briganten, die der
Verhaftung entgehen konnten, wanderten in die USA aus. Bis heute
werden sie in Süditalien verehrt. Zahlreiche Erzählungen,
Lieder, populärwissenschschaftliche Bücher und
historische Abhandlungen befassen sich mit dem Thema.
Die Briganten werden aus heutiger Sicht in Italien als
politisch motivierte Widerstandskämpfer eingestuft und
kaum noch mit den simplen Räubern (banditi) in einen
Topf geworfen werden. Demnach war das Brigantenwesen
nichts anderes als der Krieg der Armen und Betrogenen!
In Italien, vor allem
in Süditalien, u.a. in Kampanien, Kalabrien, den Abruzzen
und in der Basilikata wird die Erinnerung an die Briganten
bis heute gepflegt.
Der Mythos lebt bis heute: So finden alljährlich im
Sommer in Brindisi Montagna (Basilicata) vor der Kulisse desCastello Fittipaldi Festspiele statt, bei denen eine Multimediashow mit Filmen, Tanz und
Hunderten von Laienschauspielern die Geschichte
der Briganten wieder aufleben lässt. Insbesondere werden
Szenen aus dem Leben von Carmine Crocco gespielt,
dem der bekannte Schauspieler Michele Placido seine Stimme leiht.
Bei der großartigen geschichtlichen
Rekonstruktion werden Hunderte von Kostümen und zahlreiche
Tiere eingesetzt und mittels Projektionen auf den Berg großartige
Effekte geschaffen.
Briganten am Wege: Deutsche Reisende und das Abenteuer Italien