Im Mai 2015 jährte sich sein Todestag zum fünfzigsten Mal. Antonio Ligabue (1899-1965) war ein italienischer Künstler, Außenseiter, naiver Maler und selbstquälerisches Genie. In Gualtieri (Emilia-Romagna), dem Herkunftsort seines Adoptivvaters, nannte man ihn „Al matt“ (der Verrückte) oder „Al tedesch“ (der Deutsche). Ligabue sollte ein Leben dazu brauchen, eine eigene Identität zu finden, die er nur seiner außerordentlichen Begabung verdankte, die ihn, als Autodidakt, in Richtung Malerei brachte.
Antonio Ligabue wurde 1899 in Zürich unehelich geboren. Seine Mutter, Elisabetta Costa, war ein in die Schweiz ausgewandertes Hausmädchen aus dem Veneto, das sehr früh starb. Am 18. Januar 1901 heiratete Bonfiglio Laccabue, der aus Gualtieri in die Schweiz ausgewandert war, Elisabetta und erkannte das Kind an, womit Antonio den Namen Antonio Laccabue bekam.
Ligabue kam in verschiedene Pflegefamilien, dann in das Waisenhaus von Marbach, aus dem er mit 15 Jahren wegen schlechter Führung ausgewiesen wurde. Zwischen Januar und April 1917 wurde er nach einer heftigen Nervenkrise erstmals in eine psychiatrische Klinik in Pfäfers eingeliefert, zwei Jahre später wurde er wegen Landstreicherei und Kleinkriminalität aus der Schweiz ausgewiesen.
Gegen seinen Willen wurde er nach Gualtieri gebracht, dem Ursprungsort von Bonfiglio Laccabue, aber ohne ein Wort Italienisch zu sprechen, floh er und versuchte, in die Schweiz zurückzukehren.
Zeitlebens lehnte Ligabue seinen Stiefvater ab und deshalb nannte er sich, um sich vom Familiennamen Laccabue zu distanzieren, Ligabue.
1920 erhielt er das Angebot einer Anstellung am Ufer des Po. In dieser Zeit begann er, zu malen. 1928 lernte er den Maler und Bildhauer Renato Marino Mazzacurati kennen, der das ursprüngliche und unverfälschte Talent Ligabues erkannte und ihm den Umgang mit Ölfarben und weitere Techniken beibrachte.
In jenen Jahren widmete sich Ligabue völlig der Malerei. In Gualtieri, wo er jahrelang einsam wie ein Wilder in einer mit eigenen Lehmskulpturen vollgestopften Hütte im Wald am Po-Ufer lebte, sah man ihn als Außenseiter und Sonderling. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Plakatmaler oder als Tagelöhner und Straßenbauarbeiter.
Antonio Ligabue: Von der
Qual eines Künstlerlebens
Antonio Ligabue: the Difficult Art of an Artist Without Rules
Antonio Ligabue
a Pontassieve (/)
1937 wurde er in Reggio Emilia in ein Irrenhaus eingeliefert, weil er sich mit Absicht selbst verletzt hatte. 1941 ließ ihn der Bildhauer Andrea Mozzali aus dem psychiatrischen Krankenhaus holen und beherbergte ihn in seinem Haus in Guastalla.
Während des Zweiten Weltkriegs fungierte er als Dolmetscher für die deutschen Truppen. Nachdem er 1945 einen deutschen Soldaten mit einer Flasche angegriffen hatte, musste er in die Irrenanstalt zurückkehren und dort drei Jahre bleiben. 1948 intensivierte sich seine künstlerische Tätigkeit, sodass Journalisten, Kritiker und Kunsthändler anfingen, sich für ihn zu interessierten.
Im Jahr 1957 besuchten ihn Severo Boschi, von der Zeitung „Il Resto del Carlino“, und der Fotojournalist Aldo Ferrari ihn in Gualtieri: Ein Bericht über ihn wurde in der Zeitung veröffentlicht mit Bildern, die immer noch berühmt sind.
1961 hatte Ligabue seine erste Ausstellung in der Galerie „La Barcaccia“ in Rom, die ihn schlagartig über die Grenzen Italiens hinaus berühmt machte. Er erlitt einen Motorradunfall und im Folgenden wurde er Opfer einer Paralyse. Im Jahr 1963 widmete Guastalla ihm eine große Ausstellung, organisiert vom Galeristen und Freund Vincenzo Zanardelli. Kurz vor seinem Tod bat Ligabue um die Sakramente der Taufe und der Firmung.
Er starb am 27. Mai 1965 im Armenhaus von Gualtieri, während gleichzeitig eine Ausstellung seiner Bilder in Reggio Emilia stattfand. Seitdem etablierte sich sein Ruf als einer der bedeutendsten italienischen Künstler der „Art brut“ (autodidaktische, unverbildete, rohe Kunst) immer mehr.
Auch nachdem er berühmt wurde, blieb Antonio Ligabue, der „Edle Wilde“ der italienischen Malerei, eine beunruhigende Persönlichkeit, die außerhalb des „Normalen“ stand. Ihn erlöste aber sein künstlerisches Talent, das in der Lage war, Ausdrucksstärke, Einfachheit und Großartigkeit zugleich darzustellen, und es ihm ermöglichte, Albträume in farbige Traumbilder zu verwandeln. Seine Werke glänzen mit minutiösen Details sowohl in den Landleben-Bildern als auch bei der Darstellung von exotischen Urwäldern.
Der Stil Ligabues könnte als eine Mischung von Henri Rousseau, Vincent van Gogh und dem Expressionismus beschrieben werden. Die Auffassung, es handle sich um „Naive Malerei“, trifft nicht ganz zu, denn das Hauptmerkmal dieser ist die bei Ligabue fehlende Idylle.
Im Jahr 1962, drei Jahre vor seinem Tod, widmete ihm Raphael Andreassi einen Dokumentarfilm, der erst 1977 im Fernsehen gezeigt wurde. Für jene, die kein Italienisch sprechen, ein paar Erläuterungen: Am Anfang eine Szene, in der Ligabue am Ufer seines Flusses, dem Po, wandelt und Tierlaute nachahmt. Er meint, mit den Tieren in deren Sprache zu sprechen, weil er sich als einer von ihnen fühlt. Er wünscht sich, den Tieren ähnlich zu sein, und der Spiegel soll ihm dies bestätigen.
Dokumentarfilm, 1962 []
In seiner Einsamkeit erfindet Ligabue eine Partnerin, die er im wirklichen Leben aber niemals hatte. In Frauenkleidung fühlt er etwas von einer Frau in sich, das tut ihm gut. Die Konfrontation mit einem Selbstporträt verursacht ihm hingegen Schmerz. Auch nachdem er berühmt wurde und sich einen Mantel und ein Auto leisten konnte, blieb Ligabue einsam und verzweifelt. Rührend die Szene, in der er versucht, eine Zeichnung gegen einen Kuss einzutauschen.
Antonio Ligabue: Von der
Qual eines Künstlerlebens