Federico Fellini (1920 – 1993) war einer der größten
Regisseure der Filmgeschichte. Wie kein anderer
verstand er es, seine ganz persönlichen Träume
und Visionen auf die Leinwand zu bringen und dennoch ein
Millionenpublikum zu erreichen. Seine Filme gehören
zu den bleibenden Kunstwerken dieses Jahrhunderts.
Ich möchte
an dieser Stelle die Aufmerksamkeit auf zwei außerhalb
Italiens weniger bekannte Filme des großen
Regisseurs lenken, die mir persönlich aber als besonders
poetisch erschienen, wenn auch meine Perspektive, da ich selbst
lange in Italien gelebt habe, durch eine größere
Nähe gekennzeichnet ist.
Amarcord (1973)
Der Name des Films ist aus dem Dialekt der italienischen
Region Romagna herzuleiten: „amarcord“, Italienisch
„mi ricordo“ (Ich erinnere mich). In diesem
Film erzählt Fellini Geschichten aus der Zeit seiner
Jugend (den 1930er Jahren) in seiner Heimatstadt Rimini.
Der Film behandelt episodenhaft ein Jahr im Leben des 16jährigen
Titta (Bruno Zanin) in der Provinzstadt Rimini zur Zeit
des Faschismus.
Am Filmbeginn werden kurz alle Hauptgestalten eingeführt,
vor allem Titta und sein jüngerer Bruder Oliva (Stefano
Proietti), seine Eltern Aurelio (Armando Brancia)
und Miranda (Pupella Maggio), sein Großvater (Giuseppe
Ianigro), sein Onkel Patacca (Nando Orfei) . Ebenso seine
Schulfreunde und die Friseuse Gradisca (Magali Noël),
die Schöne der Stadt, die auch Titta von weitem immer
wieder bewundert.
Einen festen Platz nehmen im Film die erotischen Wünsche
der pubertierenden Jünglinge ein.
Einmal lässt sich Titta beim Reparieren des Fahrrads
von der jungen Prostituierten Volpina (Josiane Tanzilli) mit
einem Kuss überraschen, ein anderes Mal ist es die Tabakladeninhaberin
(Maria Antonietta Beluzzi), die seinen Kopf an ihren gewaltigen
Busen presst. Überhaupt, auch in diesem Film kommt Fellinis Vorliebe für üppige Frauen zum Vorschein, die in
den meisten seiner Filme eine große Rolle spielten (siehe
z.B. Anita Eckberg in „La dolce vita“).
Roma
Satyricon
Das goldene Zeitalter
des italienischen Films
Dieses Leitmotiv taucht
auch in einer Episode auf, wo der Bruder des Vaters, Teo, der
in einer psychiatrischen Anstalt lebt, einen unbeaufsichtigten
Moment nutzt, um auf einen Baum zu klettern und seinen verzweifelten
Wunsch in die Welt zu brüllen: „Voglio una donna!“
(Ich will eine Frau!).
Eine der Episoden
des Films nimmt Bezug auf die damalige politische Situation
Italiens. Anlässlich eines Besuchs Mussolinis in Rimini treffen sich fast alle Einwohner am Bahnhof ein, um dem „Duce"
zuzujubeln. Doch am Abend ertönt plötzlich von einem
Kirchturm herab die Internationale. Die Faschisten sind verwirrt
und schießen wild um sich. Doch die Musik stammt nur von
einem Grammophon. Der Schuldige soll unbedingt gefunden werden
und so wird auch Tittas Vater, als ehemaliger Sozialist, mitten
in der Nacht zum Verhör geholt.
Amarcord
ist mit wunderbaren Juwelen aus der Fantasie Fellinis gespickt,
wie jene Szene, in der dem Jungen die Kühe im Nebel wie
Monster erscheinen.
Ebenso wurzelt aber der Film in der durch die Erinnerung gefilterte
Geschichte. Der Faschismus wird als eine Tatsache des Lebens
angesehen, ebenso die Kirche und die Familie. Mittels seinem
Hauptdarsteller Titta schaut Fellini in diesem Film in seine
Vergangenheit zurück, die Quelle seiner Illusionen und
seiner Gefühle. Fellini über den Film: „Ich schuf
Amarcord um meine Jugend in Gemütsruhe abzuschließen!"
Roma (1972)
Dieser Episodenfilm zeigt
die Ewige Stadt wie ein Gemälde, oder wie ein Puzzle aus
Bildern, die der persönlichen Sicht des Regisseurs entstammen.
Sehenswürdigkeiten werden nur am Rande gezeigt (beispielsweise
eine Schafsherde vor den Lateranpalast in den 1940er Jahren),
der Film ist fast ausschließlich ein Sammelsurium von
skurrilen Szenen und Personen.
In diesem fulminanten Film zeigt der Regisseur, wie sehr
in Rom - trotz Verfall und Niedergang
- das Leben pulsiert. Er schreckt nicht davor zurück,
den Besuch eines Bordells, das er als Zwanzigjähriger
aufsuchte, zu zeigen: Damals mussten er und sein kichernder
Freund sich lange gedulden, bis eine offensichtlich hochgestellte
Persönlichkeit (ein Politiker? Ein Gesitlicher?), die
nicht gesehen werden wollte, seine Auswahl getroffen
hatte.
Oder er konfrontiert den Zuschauer mit einer grotesken kirchlichen
Modenschau: In dieser veranstaltet eine Principessa
für einen leutseligen Kardinal eine Modenschau mit
extravaganten Modellen für Nonnen, Messdiener,
Geistliche und Päpste.
Fellinis „Roma„: Modeschau für
den Vatikan
Er zeigt die Stadt aus
verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven: von den Eindrücken,
die er hatte, als er mit 20 Jahren zum ersten Mal in die „große
Stadt" kam bis zu spätere Erlebnisse wie die Entdeckung
alter Fresken auf einer U-Bahn-Baustelle, oder Begegnungen mit
den Schauspielern Alberto Sordi, Marcello Mastroianni und „Mamma
Roma" Anna Magnani.
0Neben Skurrilitäten werden ab und zu auch überraschend
idyllische Bilder vermittelt: Menschen, die an den im Freien
aufgestellten, überfüllten Tischen einer Trattoria
sitzen und sich nicht stören lassen, wenn die Straßenbahn
in größter Nähe quietschend und ratternd vorbeifährt
oder Straßenmusikanten ihnen ins Ohr singen.
Den Abschluss bildet dann
eine nächtliche Motorradfahrt durch Rom von zwei Dutzend
Rockern, die vorbei an beleuchteten Sehenswürdigkeiten
und begleitet von der Kamera ihre Runden drehen.