Es ist merkwürdig: Dieser
Film hat es geschafft, mich in die Tage meiner Kindheit zurückzuversetzen.
Es können nicht nur die knatternden Vespas, die
Art, wie sich Jugendliche und Erwachsene damals kleideten,
das „Abenteuer" Spielen
der Kinder in verfallenen Bauruinen oder das provinzielle
abendliche Flanieren auf der Hauptstraße sein, die meine
nostalgischen Gefühle für eine Welt hervorgerufen
haben, die es so nicht mehr gibt. Es ist die Faszination des Archaischen, des Beharrenden, der
Starken Gefühle, des oftmals nicht selbst gelebten
sondern von Zahlreichen Filmen und Büchern und Geschichten
gespiegelten Lebens.
1965 in Rom geboren, verbrachte Crialese neun
Jahre in den USA, wo er an der Tish School of Arts der New Yorker Universität studierte, einen ersten
Kurzfilm („Heartless“, 1994) fertig stellte
und 1997 mit „Once We Were Strangers“ sein
Spielfilmdebüt inszenierte.
Für den Film
bekam Crialese u.a. den Großen Preis der Jury in Valenciennes.
Im Anschluss zog er sich für sechs Monate auf die kleine
Insel Lampedusa im Süden Siziliens zurück,
wo er als Fischer arbeitete und die Geschichte einer Frau
hörte, die von den übrigen Inselbewohnern aufgrund
ihres unkonventionellen und launischen Verhaltens
für verrückt gehalten wurde. Aus dieser Legende
heraus entwickelte Crialese die Idee zu „Lampedusa“,
den er 2001 drehte. Bei den Filmfestspielen in Cannes
erhielt der Film 2002 den Großen Preis der Semaine
de la Critique sowie den Publikumspreis.
Respiro
In „Respiro“,
was wörtlich „Atem" bedeutet, meint man das
Italien aus einer anderen Epoche zu spüren. Ganz ursprünglich,
ganz archaisch. Zwar wird sich
niemand wirklich nach dem von engen Moralvorstellungen dominierten
Inselleben sehnen - doch weckt der Film eine andere Art von
Sehnsucht: die Sehnsucht nach der kleinen menschlichen Gemeinschaft,
nach einem Leben im Einklang mit dem Meer, der Sonne und nach
der tiefen unergründlichen Schönheit des
Mittelmeeres.
Lampedusa
Das Jahrhundert des Kinos 100 Jahre Film: Italien
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Es ist eine magische Geschichte, die
Crialese mit diesem Film erzählt. Zwischen Sizilien und
Tunesien im blauem Mittelmeer liegt die kleine Vulkaninsel
Lampedusa. Das Meer bestimmt seit jeher den Zeit- und Arbeitsrhythmus
der Insel: Die Männer fahren zur See, die Frauen arbeiten
in den Fischfabriken und stehen am Hafen und warten auf ihre
vom Fischfang zurückkehrenden Männer. Die Kinder
helfen mit.
Der Film ist
die Adaptierung einer alten Insellegende, die von einer jungen
Frau erzählt, die einst auf Lampedusa lebte. Sie war von
freiem Geist und wollte sich den strengen Regeln und moralischen
Ansprüchen ihrer Dorfgemeinschaft nicht beugen. Die
Dorfbewohner schauten auf sie herab, erklärten sie
sogar für verrückt. Und eines Tages verschwand die
junge Frau, nur ihre Kleider blieben am Strand zurück.
Die Zeit verging, doch die Frau blieb verschwunden. Die Menschen
aus dem Dorf fühlten sich schuldig, die Frau in den Selbstmord
getrieben zu haben. Sie gedachten ihrer und beteten jeden Tag.
Und siehe da: Eines Tages kehrte die junge Frau auf mysteriöse
Weise wieder ins Leben zurück.
Szenen aus dem Film
Grazia (Valeria Golino) ist Mutter dreier Kinder und mit dem Fischer Pietro (Vincenzo Amato) verheiratet. Grazia liebt ihre Familie – und die Familie liebt sie, auch wenn sie als Ehefrau und Mutter
immer wieder peinliche Situationen und Gerede heraufbeschwört.
Grazia ist leidenschaftlich, unangepasst, emotional, aufbrausend,
freiheitsliebend, voller überschwänglicher Gefühle,
von sinnlicher Unbefangenheit. Das Meer ist für sie Ort
des Friedens, der Leichtigkeit und der Freiheit - nur hier
ist sie erlöst von den strengen Regeln des Insellebens.
Sie ist anders als die anderen, unvorhersehbar in ihrem Verhalten,
nicht verständlich für die Mentalität der Menschen
am Ort, den anderen Frauen ein Dorn im Auge. Es wird gemunkelt
und getuschelt im Dorf, und manch einer meint, Grazia gehöre
in eine Anstalt.
Als Grazia auch noch die Türen des Tierasyls öffnet,
um die dort eingesperrten Hunde vor dem Tod zu retten,
ist für das Dorf das Maß voll. Von den Hausdächern
herunter knallen die Fischer die wilde Meute ab. Der Druck der
Gemeinschaft auf Pietro wächst, bis er schließlich
einwilligt, seine Frau zu einer klinischen Behandlung nach Mailand
zu schicken. Doch ehe dies geschehen kann, verschwindet
die Unglückliche spurlos. Man glaubt an Selbstmord
...
Meisterhaft
porträtiert sind Grazias Sohn Pasquale (Francesco Casisa)
und Grazias Mann, Pietro (Vincenzo Amato).
Der dreizehnjährige Pasquale ist der Anführer einer
unbändigen Jungenschar. Die Kinder mit ihrer Lebensfreude,
ihren brutalen Bandenritualen und ihren kleinen und großen
Nöten sind mehr als nur Kulisse in diesem Film. Mit Schleudern
und Fallen stellen sie Singvögeln nach, lungern in
verfallenen Bauruinen herum, tauchen im Meer nach
Seeigeln oder schlagen sich mit rivalisierenden Banden.
Wie die anderen verbringt Pasquale seine Abende auf der
Hauptstraße des Dorfs, und macht Mädchen an.
Pasquale findet auch immer Wege, seine Mutter zu beschützen.
Der Fischer Pietro ist ein Mann mit Herz, aber harter Schale.
Leidenschaftlich in seine Frau verliebt und um die Familienehre
besorgt.
Der größte
Teil der Rollen ist mit Laiendarstellern besetzt, mit Menschen,
die auf Lampedusa leben und mit ihrer Art und ihrem eigenen
Dialekt dem Film Authentizität verleihen – ein Film ganz
in der Tradition des italienischen Neorealismus.
Die Unterwasseraufnahmen von Kameramann
Fabio Zamarion sind hypnotisch schön - die Musik
von John Surman stimmt auf die Wasserszenen ein - die Zuschauer
geheimnisvoll in den Bann ziehend. Crialese hat einen wunderschönen
Film gedreht, der in Cannes mit dem Publikumspreis und dem
Preis für den besten Film ausgezeichnet wurde.