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Wann habe ich Pinocchio (eine Pflichtlektüre für jedes in Italien aufgewachsene
Kind!) zum ersten Mal gelesen? Oder habe ich diese zum Leben
erwachte Marionette erst als Zeichentrickfigur im bekannten
Film von Walt Disney kennen gelernt?
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Carlo Collodi |
Carlo Collodi, eigentlich Carlo Lorenzini (1826 – 1890) ist der Autor des weltberühmten Romans Die Abenteuer von Pinocchio. Sein Pseudonym leitet sich vom Dorf Collodi ab, wo seine Mutter geboren wurde. Auch Collodi selbst verbrachte einen großen
Teil seiner Kindheit dort. |
Pinocchio |
Die langlebige Geschichte von Pinocchio (ausgespr. Pinokkio)
ist heute mehr als hundert Jahre alt. Diese Figur, Kind und
Marionette zugleich, verbirgt die Faszination des toten Stoffs,
der geheimnisvollerweise zum Leben erweckt wird. |
Leseprobe |
Die Fee gibt Pinocchio vier
Goldstücke, die er seinem Vater bringen soll. Es kommt
aber anders. Pinocchio geht mit zwei messerscharfen Analysten,
dem Fuchs und der Katze zum dem Feld der Wunder (gleich neben
der Stadt Börsenfurth), um dort seine vier Goldstücke
zu sähen. |
„Was machst du nun in dieser Gegend?"
fragte der Fuchs den hölzernen Jungen. |
„Ich warte auf meinen Vater, der jeden Augenblick hier
sein muss." |
„Und deine Goldmünzen?" |
„Die habe ich immer noch in der Tasche, bis auf eine,
die ich im Wirtshaus 'Zum Roten Krebs' ausgegeben habe." |
„Wenn man daran denkt, dass aus den Münzen morgen
tausend oder zweitausend geworden sein könnten! Warum
hörst du nicht auf meinen Rat? Warum säst du sie
nicht auf dem Feld der Wunder?" |
„Heute geht es nicht, wir gehen ein andermal dorthin." |
„Ein andermal wird es zu spät sein“, sagte
der Fuchs. |
„Warum?" |
„Weil dieses Feld von einem reichen Herrn gekauft wurde
und weil von morgen ab niemand mehr dort Münzen säen
darf." |
„Wie weit ist es denn von hier bis zum Feld der Wunder?" |
„Knapp zwei Kilometer. Willst du mit uns kommen? In einer
halben Stunde bist du dort: Du säst schnell deine vier
Münzen, und nach wenigen Minuten erntest du zweitausend
Stück, und heute abend kehrst du mit vollen Taschen zurück.
Willst du mit uns gehen?" |
Pinocchio zögerte ein wenig mit seiner Antwort, weil
er an die gute Feee, den alten Geppetto und die Warnungen
der Sprechenden Grille denken musste. Aber schließlich
tat er, was alle Kinder tun, die keinen Funken Verstand und
kein Herz haben. Er nickte mit dem Kopf und sagte zum Fuchs
und zur Katze: „Also gehen wir, ich komme mit." |
Und so begab sich das Trio auf den Weg zu dem sagenhaften
Feld der Wunder. |
Nachdem sie einen halben Tag marschiert waren, kamen sie in
eine Stadt, die Börsenfurth hieß. Dort waren die
Gassen gefühlt von herabgekommenen Hunden ohne Fell oder
Zähne, die vor Hunger gähnten. Geschorene Schafe
zitterten in der Kälte. Hühner ohne Kamm bettelten
bei selbst ärmlichen Passanten um ein winziges Korn. |
Große Schmetterlinge sah man, die ihre Flügel nicht
nutzen konnten, weil sie ihre lieblichen Farben dienstbar
auf der Straße verkauft hatten. Dort gab es geduckte
Pfaue ohne Rad, die sich schämten, sich zu zeigen und
schäbige Fasane, die rasch davonliefen, um ihre prächtigen
goldenen und silbernen Federn barmend, die sie für immer
verloren hatten. |
Durch diese Schar von Bettlern und Ärmsten fuhr hin und
wieder eine prachtvoll verzierte Kutsche. Darin saßen
lässig mal ein Fuchs, mal ein Habicht oder auchein Geier. |
„Wo ist das Feld der Wunder?" fragte Pinocchio,
dem das Laufen lästig wurde. |
„Sei geduldig“, antwortete der Fuchs, „ich
versichere dir, es ist nur noch ein paar Schritte von hier." |
Sie gingen durch die Stadt und dort neben der Stadtmauer gelangten
sie auf ein einsames Feld, dass nicht anders aussah, als jedes
andere Feld. |
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„Hier sind wir“, sagte der Fuchs zur Marionette.
„Nun musst du hier ein Loch graben und die Goldstücke
dort hineinlegen." |
Die Marionette gehorchte eilig. Sie grub ein
Loch, legte die vier Goldstücke hinein und bedeckte sie
dann sorgfältig mit Erde. |
„Und nun“, sagte der Fuchs, „musst du zu dem
nahen Bach gehen und einen Eimer Wasser schöpfen und
diesen über diese Stelle gießen." |
Pinocchio befolgte diese Anweisungen gewissenhaft, aber da
er keinen Eimer hatte, zog er dafür seinen hölzernen
Schuh aus, füllte ihn mit Wasser und besprenkelte damit
die Erde, die das Gold bedeckte. „Noch etwas?" fragte
er. |
„Sonst nichts“, antwortete der Fuchs. „Komm
hierher in zwanzig Minuten zurück und du wirst eine Rebe
finden, deren Äste mit Gold behängt sind." |
Pinocchio setzte sich auf die Erde. |
„Was machst du?" fragte der Fuchs. |
„Ich bin so müde vom Laufen. Ich dachte, ich sitze
hier und warte und schaue." |
„Aber das ist nicht gut“, sagte der Fuchs, „weil
das Geld nicht wachsen wird, wenn es beobachtet wird. Es tut
seine Arbeit nur im Geheimen." |
Pinocchio sprang wieder auf die Füße. Außer
sich vor Dankbarkeit für diese Ratschläge drückte
er den Fuchs und die Katze. „Ich verspreche Euch, mein
Vater und ich werden nicht die einzigen sein, die davon profitieren.
Nach der kurzen Weile, die es für das Gold zu wachsen
braucht, werdet ihr beide nicht nur meinen armseligen Dank
erhalten, sondern einige wertvolle Geschenke." |
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„Wir wollen keines deiner Geschenke“, antworteten
die beiden Schurken. „Es reicht uns, dass wir dir geholfen
haben, reich zu werden, mit wenig oder gar keiner Anstrengung.
Das macht uns so glücklich wie Könige." |
Der Fuchs und die Katze gingen mit Pinocchio zurück in
die Stadt. Nachdem sie für die Marionette eine Bank nahe
des Rathauses gefunden hatten, von der aus diese die zwanzig
Minuten auf der großen Rathausuhr verstreichen sehen
konnte, sagten sie der Marionette „Aufwiedersehen"
und „Alles Gute" und waren alsbald die Straße
hinunter verschwunden.
Pinocchio wird seiner Goldstücke beraubt
und wird, als Strafe, zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.
Wenn die Marionette ein Leben lang gewartet
hätte, statt nur zwanzig Minuten, wäre ihr die Zeit
nicht länger vorgekommen. Während sie die Uhr sich
bewegen sah, dachte sie, eine Ewigkeit müsse vergangen
sein und dennoch wollten die zwanzig Minuten einfach nicht
enden. Als nur noch eine Minute übrig war, dachte sie
sich, es wäre wohl nicht schädlich, zum Feld der
Wunder zurückzukehren, aber dann beherrschte sie sich
doch, weil sie alles tun wollte, um die Magie der Geldvermehrung
nicht zu zerstören.
Aber sobald die letzte Sekunde der letzten Minute verstrichen
war, begab sich Pinocchio auf den Weg. Sein Herz klopfte ein
aufgeregtes tick, tack, tick, tack zu dem Takt seiner hölzernen
Füße, sein emsiges Gehirn wirbelte vor freudigen
Gedanken:
„Was wäre, wenn ich nun fünftausend Goldmünzen
fände? Das Wasser, das ich über die Münzen
goss, war das beste Wasser und ich habe genau das getan, was
man mir gesagt hat, so könnte es leicht sein, dass ich
sogar zehntausend Goldstücke dort finde. Und wenn das
so ist, weiß ich auch schon genau, was ich damit tue.
Ich werde mir selbst einen wunderschönen Palast bauen,
mit tausend Ställen in denen tausend Holzpferde auf mich
warten. Einen Keller werde ich haben, in dem Tag und Nacht
Limonade fließt und man wird mir Döner Kebab servieren,
bis ich platze. Eine Bücherei wird da sein, statt der
Bücher gibt es dort Mandelgebäck und Früchte,
Kuchen und Kekse."
Während sie sich so begeistert fand, näherte sich
die Puppe dem Feld der Wunder. Dort hielt sie inne und schaute
mit großer Erwartung nach dem Bäumchen mit den
goldenen Geldstücken. Aber sie sah nichts. Pinocchio
ging einen Schritt vorwärts und noch immer - nichts.
So lief der hölzerne Junge auf das Feld, zu dem Platz
wo er das Loch gegraben hatte, um seine Goldstücke zu
vermehren. Aber da war nichts! |
Als Pinocchio dort stand und seinen armen, verwirrten Kopf
kratzte, hörte er das Geräusch von herzhaftem Gelächter
in der Nähe. Er drehte sich kurz um und sah auf dem Ast
eines Baumes einen großen Papagei, der damit beschäftigt
war, sich zu lausen. |
„Worüber lachst du?" fragte Pinocchio wütend. |
„Ich lache, weil ich mich lause. Das kitzelt so unter
den Federn“, sagte der Papagei. „Was meinst du,
worüber ich lache?" |
Der hölzerne Junge antwortete nicht. Er ging hinüber
zum Bach, füllte seinen Schuh mit Wasser und goß
es über die Erde, die die Goldstücke bedeckte. |
Wieder ertönte ein Ausbruch von Gelächter, noch
impertinenter als beim ersten Mal. |
„Heraus damit“, schrie die Marionette, die nun recht
wütend war, „darf ich wissen, Herr Papagei, was
Sie so amüsiert?" |
„Ich lache über diese Einfaltspinsel, die alles
glauben, was sie hören und die sich so willig in jede
Falle begeben, die man ihnen gestellt hat." |
„Ich bin kein Einfaltspinsel!“, rief Pinocchio grimmig. |
„Habe ich gesagt, du wärest einer? Es möge
mir fern liegen, jedweden dumm zu nennen, der glaubt, Gold
könne ausgesät werden, wie etwa Bohnen oder Kürbisse.
Es möge mir fern liegen, zu sagen, dass niemand zu ehrlichem
Geld auf diese Art kommen könne. Ich bin nur ein dummer
Papagei, der auf einem Baum sitzt. Ich kann dir nur sagen,
was ich gehört habe." |
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, sagte
die Marionette und begann vor Furcht zu zittern. |
„Ich kann dir nur sagen, was ich gehört habe“,
wiederholte der Papagei. „Und was ich gehört habe,
ist, dass während du in der Stadt warst, der Fuchs und
die Katze in großer Eile zurückgekehrt sind, die
Goldstücke ausgegraben haben und fort sind wie der Wind.
Wenn du sie jetzt noch einholst, bist du ein Wunderknabe." |
Pinocchios Mund öffnete sich weit. Er wollte den Worten
des Papageis nicht glauben, also begann er wie verrückt
die Erde aufzugraben. Er grub und grub, bis das Loch so groß
war, wie er selbst, aber da war kein Geld mehr. Die Goldstücke
die er vergraben hatte, waren verschwunden. |
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In wilder Verzweiflung rannte die Marionette in die Stadt
und ging geradewegs zum Gericht, um dem Magistrat die die
Straftat zu berichten. |
„Was ist deine Beschwerde?" fragte der Richter,
ein großer Gorilla mit schon grauem Rücken, auf
dessen Nase eine goldgefassten Brille thronte, aus der die
Gläser sich verabschiedet hatten. Der Grund sie zu tragen,
so sagte er gelegentlich, sei, dass seine Augen durch die
jahrelange Rechtstätigkeit schwächer geworden seien. |
Pinocchio stand vor ihm und erzählte sein trauriges Erlebnis,
Wort für Wort, lies kein Detail aus. Er nannte Namen
und Beschreibung der Räuber und bat nach langem Vortrag
schlussendlich um Gerechtigkeit. |
Der Richter hörte im mit großer Geduld zu, mit
einem freundlichen Glanz in den Augen. Tatsächlich war
er so beeindruckt von der Geschichte der Marionette, dass
er in Tränen ausbrach. Nachdem Pinocchio seinen Fall
zur Gänze vorgetragen hatte, streckte der Richter die
Hand aus und läutete die Gerichtsglocke. |
Sofort erschienen zwei große Fleischerhunde, die als
Polizisten gekleidet waren. |
„Seht her“, sagte der Magistrat und zeigte auf Pinocchio.
„Dieser arme Narr wurde um vier Goldstücke ausgeraubt.
Nehmt ihn daher und werft ihn ins Gefängnis." |
Pinocchio versuchte zu protestieren, aber die zwei Gerichtsdiener
legten ihre Pfoten über seinen Mund und zerrten ihn ins
Gefängnis. |
Viele lange, entbehrungsvolle Monate saß Pinocchio im
Gefängnis. Dann, eines Tages, verkündete ein junger
Herrscher, der über die Stadt Börsenfurth befahl,
einen großen Sieg über seine Feinde. Er ließ
ein großes Feuerwerk anzünden und als trefflichstes,
die Türen aller Gefängnisse aufsperren. Nicht aber
die Tür von Pinocchio, der dort wegen seiner Erklärung
festgesetzt worden war, er wäre kein Dieb. |
Als die Puppe dies hörte, rief er dem Wärter zu:
„Auch ich bin ein Übeltäter!" |
„In diesem Fall gilt die Amnestie auch für dich“,
sagte der Gefängnisbeamte und verbeugte sich. |
Pinocchio rannte aus dem Gefängnis,
so schnell ihn die Füße trugen und schaute sich
nicht um, bevor er nicht eine Stunde gelaufen war. |
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