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Der 1798 in Recanati geborene Giacomo Leopardi ist einer der wichtigsten italienischen Dichter des 19. Jahrhunderts. |
Bereits im Alter von 16 Jahren besaß er eine außerordentliche Bildung, er konnte
Latein und Griechisch, Französisch, Englisch,
Spanisch und Hebräisch.
Leopardis kurzes Leben – er wurde nur 39 Jahren als – war charakterisiert von ständiger Geldnot, dem Fehlen einer erfüllten Beziehung und einer schwachen Gesundheit. Das gab seinem Werk eine melancholische Grundstimmung. Aber aus Leopardis Werken spricht so viel Leben, Gefühl, Witz und Geist, dass Leopardis Melancholie dem Leser alles andere als trist erscheint. |
In der Übersetzung verlieren die meisten Gedichte viel
von ihrer Schönheit. Jedenfalls empfinde ich „Das Unendliche“
von Giacomo Leopardi (in der Originalsprache) als eines
der schönsten Gedichte, die ich jemals gelesen habe. |
Das Unendliche
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Lieb war mir stets hier der verlass'ne Hügel |
und diese Hecke, die vom fernsten Umkreis |
so viel vor meinem Blick verborgen hält. |
Doch hinter ihr – wenn ich so sitze, schaue, |
endlose Weiten, formt sich dort mein Denken, |
ein Schweigen, wie es Menschen nicht vermögen, |
und tiefste Ruhe; da verlernt die Seele |
das Fürchten bald. Und wenn des Windes Rauschen |
durch diese Bäume geht, halt ich die Stimme |
dem Schweigen, dem unendlichen, entgegen, |
ihm zum Vergleich: des Ewigen gedenk ich, |
der toten Jahreszeiten und der einen, |
die heute lebt und tönt. Und so versinken |
im Unermeßlichen mir die Gedanken, |
und Schiffbruch ist mir süß in diesem Meere. |
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Die einsame Amsel
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Droben, hoch auf der Spitze des alten Turmes. |
einsame Amsel, singst du ins weite Land |
dein Lied hinaus, bis schließlich der Tag vergeht. |
Und harmonischer Wohlklang erfüllt dieses Tal. |
Frühling glänzt überall |
in den Lüften und jubiliert auf den Feldern, |
und Rührung ergreift das Herz, wenn man schauend steht. |
Du hörst die Schafe blöken, die Rinder muhen. |
Die anderen Vögel ziehen vergnügt um die Wette |
am blauen, heiteren Himmel tausend Kreise |
und feiern ihres Lebens schönste Zeit. |
Du bleibst sinnen beiseit und betrachtest das alles. |
Du nimmst nicht teil, und du fliegst nicht. |
Scherz und Fröhlichkeit abgeneigt, sitzt du und singst
du, |
und so, in Gedanken, verbringst du |
des Jahrs und des eigenen Lebens Blütezeit. |
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Italienische Gedichte |
Italienische Lyrik |
Klassische italienische
Gedichte von Dante Alighieri bis Giosuè Carducci.
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Weh mir, wie ähnlich im Grunde |
ist deine Art zu leben der meinen. Frohsinn |
und Lachen, stets mit der Jugend im süßen Bunde, |
und Liebe, auch dich, der Jugend leibliche Schwester |
und der späten Tage nittere Sehnsucht, |
acht ich nicht, ich weiß nicht, warum. Statt dessen, |
zieht es mich fluchtartig fort. |
Ein Einsiedler gleichsam und Fremder |
am eigenen Heimatort |
schaue ich zu, wie der Lenz meines Lebens verstreicht. |
Den heutigen Tag, der nun dem Abend weicht, |
pflegt man fröhlich zu feiern in unserem Städtchen. |
Du hörst in der klaren Luft die Glocke schallen, |
hörst wieder uns wieder das Donnern aus ehernen Rohren |
von Dorf zu Dorf in der Ferne widerhallen. |
Die Burschen und Mädchen verlassen |
die Häuser im Festtagkleid |
und schlendern durch den Ort und füllen die Gassen. |
Man sieht und wird gesehen und freut sich von Herzen. |
Ich stehle mich einsam beiseit |
und suche diese entlegenen Felder, verschiebe |
auf eine spätere Zeit |
Freude und Scherz, und indessen trifft meinen BLick |
in lichtdurchfluteter Luft |
die Sonne, die in der Ferne zwischen den Bergen |
langsam versinkt und erblindet |
am Ende des heiteren Tags, und es scheint mir, sie ruft, |
sie flüstert mir zu, daß die glückliche Jugendzeit
schwindet. |
Einsamer kleiner Vogel, du wirs am Abend |
deine Lebens, den dir die Sterne bestimmen, |
die Art, wie du lebtest, sicher |
nicht bedauern. Denn eure Neigung ist nur |
eine Frucht der Natur. |
Ich aber, wenn ich nicht |
die dunkle, verabscheute Schwelle |
des Alters zu meiden vermag, |
wenn diese Augen nicht mher zum Herzen des andren |
sprechen, die Welt sich leert und der morgige TAg |
trostloser noch als der heutige zu werden verspricht, |
was wohl werde ich denken |
von mir selbst, und wie ich gelebt und gehofft? |
Bereuen werde ich und oft |
ungetröstet die Blicke rückwärts lenken. |
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Die Ruhe nach dem Gewitter |
Das Wetter ist vergangen. |
Die muntern Vögel fangen an zu singen, |
Die Henne wagt mit Gackern |
Sich auf die Straße wieder. Sieh, wie plötzlich |
Im West am Berg der Himmel sich erhellt. |
Nun lichtet sich das Feld, |
Und aus dem Thale glänzt der Fluß herauf. |
Ein jedes Herz wird froh; allüberall |
Beginnt die Arbeit wieder |
Und regt sich rüst'ger Schall. |
Der Handwerksmann, sein Werkzeug in der Hand, |
Tritt singend, nach dem feuchten Blau zu spähen, |
Vor seines Hauses Schwelle; |
Das Weiblein kommt heraus, in ihr Gefäß |
Die Regenflut zu fassen. |
Lautrufend durch die Gassen |
Zieht mit Gemüsen wieder |
Der Händler auf und nieder. |
O sieh, da kommt die Sonne; wie verklärt |
Sie Höh'n und Villen. Die Bewohner öffnen |
Terrassen und Balcone. Horch, wie dort |
Vom Fahrweg Schellenläuten aus der Ferne |
Herübertönt. Des Reisenden Gefährt |
Knarrt durch den Sand und setzt die Reise fort. |
Aufathmet jede Brust. |
Wann ist das Leben so |
Wie jetzt uns süß und froh? |
Wann mag mit solcher Lust |
Man auf sein Tagwerk sinnen, |
Das alte fördern, neues Thun beginnen? |
Wann sind wir minder unsrer Noth gedenk? |
O Lust, du Kind des Schmerzes! |
O eitle Freude, Frucht nur |
Vergangner Angst, die unser Herz durchbebt, |
Daß vor dem Tod wir bangen, |
Wie bitter auch das Leben, |
Daß stumm die armen Thoren, |
Mit todesbleichen Wangen |
Voll Angstschweiß, in des Himmels |
Gewitterstürme blicken, |
Die wider sie verschworen! |
O gütige Natur, |
Das sind die hohen Freuden, |
Die Gaben, die du liebreich |
Den Menschen gönnst! Ihm soll es Wonne sein, |
Wenn von ihm weicht das Leiden. |
Freigebig theilst du Qualen aus. Der Schmerz |
Entspringt von selber, und die karge Lust, |
Die als ein mächtig Wunder hin und wieder |
Dem Weh entblüht, ist schon ein Glück gewesen. |
So lieb sind wir den Ew'gen! Glücks genug |
Ein freier Athemzug |
Nach langem Schmerz, und selig, |
Wenn wir im Tod von allem Schmerz genesen. |
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Der Sonnabend auf dem Dorfe
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Die junge Dirne kehrt, sobald die Sonne |
Sich neigt, vom Feld nach Haus, |
Ihr Bündel Gras zu Häupten, in der Hand |
Von Rosen und Violen einen Strauß, |
Und freut sich schon, daraus |
Morgen am Sonntag wieder |
Den Schmuck für Haar und Mieder zu gewinnen. |
Mit ihren Nachbarinnen |
Sitzt vor der Thür das Mütterchen und spinnt |
Und schaut gen Abend, wo der Tag verglüht, |
Und plaudert von den eignen jungen Tagen, |
Wo sie am Feiertag sich auch geputzt hat |
Und schlank noch und geschwind |
Am Abend dann zu tanzen pflag mit Denen, |
Die ihrer schönsten Zeit Gefährten waren. |
Schon aus der Höhe sinkt |
Tiefblaue Dämmrung, und die Schatten fallen |
Von Dächern und von Hügeln, |
Da silbern jetzt der neue Mond erblinkt. |
Und nun beginnt die Glocke |
Den Festtag einzuläuten, |
Und bei dem Klange zieht es |
Wie Trost in alle Seelen. |
Die Knaben, die in Haufen |
Dort auf dem Platze jauchzen |
Und hier- und dorthin laufen, |
Wie lachen sie und lärmen! |
Indessen kehrt zu seinem dürft'gen Tisch |
Der Pflüger pfeifend heim |
Und denkt bei sich an seinen Ruhetag. |
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Dann, wenn erloschen jedes Licht ringsum |
Und alles Andre stumm, |
Hörst du den Hammer klopfen, hörst die Säge |
Des Zimmermanns, der wacht |
In der verschlossnen Werkstatt und beim Lämpchen |
Sich sputet, daß die Arbeit |
Noch fertig werde, eh' der Tag sich röthet. |
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Dies ist der liebste von den sieben Tagen, |
Voll Hoffnung, voller Wonne. |
Es bringt die neue Sonne |
Trübsinn und Langweil; Jeder denkt im Stillen, |
Daß wieder sich erneu'n die alten Plagen. |
Du muntrer Knabe, dies |
Dein Blütenalter gleicht |
Solch einem heitren Tag, so klar und froh, |
Und wenn er dann entfloh, |
Hast deines Lebens Sonntag du erreicht. |
Genieß ihn, Kind; gar süß ist diese Zeit, |
Und Jeder lebt sie gerne. |
Mehr will ich dir nicht sagen. Doch daß ferne |
Dir noch dein Sonntag, sei es dir nicht leid! |
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An Silvia
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Silvia, erinnerst du noch |
jene Zeit deines irdischen Lebens, als |
Schönheit glänzte in deinen |
lachenden Augen, verstohlenen Blicken, |
und du, freudig und nachdenklich, die Schwelle |
der Jugend überschrittest? |
Es tönten die ruhigen |
Zimmer, die Wege umher |
zu deinem steten Gesang, |
da über weiblichen Werken begriffen |
du saßest, zufrieden genug |
mit der heitren Zukunft die du dir träumtest. |
es war der duftende Mai: und du pflegtest |
so den Tag zu verbringen. |
Bisweilen die anmutigen |
Studien lassend und fleckigen Papiere, |
worüber ich die Jugend |
vergeudete und von mir den besseren |
Teil, lieh ich von oben, von den Balkonen |
des Hauses mein Ohr dem Klang deiner Stimme, |
und den geschwinden Händen, |
die die ermüdende Leinwand durcheilten. |
den heitren Himmel schaut ich, |
die gärten und goldnen wege, |
und da das Meer von weitem, und dort den Berg. |
sterblichen ist unsagbar |
was ich im Busen fühlte. |
Was für süße Gedanken, |
Hoffnungen, was für Gefühle, o Silvia! |
wie erschien uns das Leben |
der Menschen und ihr Geschick! |
wenn ich mich sovieler Hoffnung erinnre, |
bedrückt mich ein herbes und |
trostlos-trübes Gefühl, |
und weckt mir die Schmerzen über mein Unglück. |
o Natur, o Natur, |
warum gibst du uns das nicht, |
was du uns erst versprichst? warum betrügst du |
so deine eignen Kinder? |
Bevor der Winter die Gräser verdorrte,
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vergingst befalln du von versteckter Krankheit |
und besiegt, du Holde, Zarte. und sahst nicht |
die Blüte deiner Jahre; |
dein Herz umschmeichelte nicht |
das süße Lob jetzt deiner schwarzen Haare, |
jetzt deiner scheuen und verliebten Blicke; |
mit dir nicht redeten an Feiertagen |
die Freundinnen von Liebe. |
Binnen kurzem verging auch |
meine süße Hoffnung: auch meinen Jahren |
verweigerte das Schicksal |
die Jugend. ach wie, wie, wie |
bist du dahingegangen, |
teure Gefährtin meiner jungen Jahre, |
meine beweinte Hoffnung! |
ist dies jene Welt? dies die |
Freuden, die Liebe, die Tage und Taten, |
wovon wir soviel zusammen redeten? |
ist dies das Schicksal des Menschengeschlechtes? |
beim erscheinen des Wahren |
fielest, unglückliche, du: und mit der Hand |
zeigtest du mir den kalten Tod und ein |
nacktes Grab von Ferne. |
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