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Es ist lange her, als man in der Schule noch Gedichte auswendig
lernen musste. In Italien waren es die Verse von Giosuè
Carducci, Giacomo Leopardi, Ugo Foscolo und Giovanni Pascoli, an denen wir uns die Zähne
ausbeißen mussten. Ich kenne kaum jemanden, dem dies
als Kind oder Jugendlicher keine Qual war. Aber heute – heute
versetzt mich allein das Lesen dieser Namen in eine fast beglückende
Stimmung. |
„I cipressi che a Bolgheri alti e schietti van da San Guido in duplice filar ...“ : durch
diese Zeilen von Giosuè Carducci in seinem Gedicht
„Davanti a San Guido“ ist dieses alte
Dorf unsterblich geworden und strahlt einen einzigartigen
Charme aus. |
Giosuè Carduccis Dichtung genoss eine ungeheure Beliebtheit,
sowohl in seiner Heimat Italien, als auch im Ausland. Er stellte
im späten 19. Jahrhundert eine der großartigsten literarischen
Persönlichkeiten
Italiens dar.
Der von Vaterlandsliebe
geprägte Dichter erreichte mit seinen Werken solche poetische
und stilistische Höhen, dass er – ein Jahr nach seinem Tod – zum ersten Nobelpreisträger
Italiens wurde.
Weshalb hat sich mir gerade „Davanti San Guido“, dieses
Gedicht von Giosuè Carducci so eingeprägt, dass
ich bis heute noch so viele Strophen aufsagen kann? Vielleicht
gibt mir das erneute Lesen die Antwort darauf. |
Vor San
Guido |
Vor Bolgheri die beiden Reihn
Zypressen,
Die grad und stattlich nach San Guido gehen,
Wie junge Riesen, die im Lauf sich messen,
So eilten sie heran, nach mir zu sehen. |
Sie kannten mich und flüsterten mir leise
Kopfnickend zu: - Oh, bist du wieder da?
Warum nicht bleiben? Unterbrich die Reise:
Kühl wirds zur Nacht, die Straße kennst du ja. |
Oh, halte Rast in unserm würzgen Schatten,
Wo der Nordwest dich trifft von hoher See;
Steinwürfe, die uns einst getroffen hatten,
Verzeihn wir gern, sie taten auch nicht weh. |
Noch immer baun ihr Nest die
Nachtigallen
In unsern Zweigen. Warum fliehst du doch?
Und abends flattern Spatzen nach Gefällen
Um uns herum; oh, so verweile noch! - |
- Zypreßlein, o Zypreßlein,
meine lieben
Getreun aus jener Zeit so schön und fern,
Wie gerne wär ich noch bei euch geblieben, -
Sprach ich, nach ihnen schauend, - oh, wie gern! |
Ach, ihr Zypreßlein, laßt
mich weiter wandern:
Die Zeiten und die Jugend sind dahin!
Ja wüßtet ihrs! - Nicht prahl ich vor den andern
-
Daß ich heut ganz berühmt geworden bin! |
Latein und Griechisch les ich
nach Belieben
Und schreibe, und viel andres kann ich auch;
Zypreßlein, bin kein Schlingel mehr geblieben,
Und Steine Werfen ist nicht mehr mein Brauch; |
Zumal nach Bäumen. - Wie
im Zweifel schienen
Die Wipfel flüsternd hin und her zu gehn,
Und spöttisch lächelnd hat aus dunklem Grünen
Das rosge Abendlicht hervorgesehn. |
Daß liebevolles Mitleid
nun gewaltet
Bei Sonne und Zypressen, spürt ich dann;
Bald hat zum Wort das Säuseln sich gestaltet:
- Wir wissen wohl, du bist ein armer Mann. |
Wir wissen wohl, der Wind ists,
der es brachte,
- Trägt er uns doch der Menschen Seufzer zu, -
Wie immer neuer Streit in dir erwachte,
Und bringst trotz aller Müh ihn nicht zur Ruh. |
Uns und den alten Eichen hier
vertraue
Dein Menschenleid und was dir Kummer bringt,
Oh, sieh das Meer, das friedevolle blaue,
Darin die Sonne lächelnd niedersinkt! |
Hör, wie heut Abend Vogellieder
schallen,
Der Spatzen Zwitschern, lustiges Getön,
Und später singen dir die Nachtigallen;
O bleib und heiße die Gespenster gehn! |
Gespenster, die aus Herzenstiefen
steigen,
Wenn es beklommen und gedankenschwer,
Und jenen Flämmchen auf dem Friedhof gleichen,
Die vor dem Wandrer flackern hin und her. |
O bleib; und morgen, wenn zur
Mittagsstunde
Die Pferde schnaufen in des Schattens Hut,
Dort an der großen Eichen, in der Runde
Die Ebne schweigt in heißer Sommerglut; |
Dann singen wir Zypressen dir
die Reigen,
Die ewig zwischen Erd und Himmel gehn,
Und Nymphen werden aus den Ulmen steigen,
Und dir mit weißen Schleiern Kühlung wehn. |
Der ewge Pan, der dann so einsam
schreitet
Durch die Gefilde, ubern Bergeshang,
Löst auf, o Sterblicher, was in dir streitet,
Bis es in solcher Harmonie verklang. - |
Und ich: - Weit hinterm Apennin
erwartet
Klein Titti mich, drum laßt, es ist mir leid;
Titti ist wohl den Spätzlein gleich geartet,
Die Federn aber fehlen ihr zum Kleid. |
Ja, wenn sie lebte von Zypressen
beeren,
Und ichs so wie die Manzonianer wüßt,
Die vom Verdienste vierfach sich ernähren;
Zypressen, teure Flur, seid mir gegrüßt! - |
- Was sollen wir dem Friedhof
denn bestellen,
Wo dein Großmütterlein im Grabe weilt? -
Sie schienen nun ein schwarz Gefolg, im schnellen
Vorschreiten, welches murmelnd weiter eilt. |
Vom Hügel, wo der Kirchhof
sich verbreitert,
Unter Zypressen dort auf grünem Pfad,
Schien mirs, als ob, sonntäglich schwarz gekleidet,
Sich mir Großmütterlein Lucia naht. |
Wie hörte man aus Frau Lucias
Munde,
Mit ihrem weichgelockten weißen Haar,
Toscansche Rede, die im Narrenbunde
Der Manzonianer stets so wäßrig war! |
Volltönend kams, mit den
schwermütgen Klängen
Aus der Versilia, die mein Herz bewahrt,
Als lauschte man den Troubadourgesängen,
So reich an Kraft und doch von süßer Art. |
Großmutter, oh, die schönen
Kindertage!
Oh, einmal noch erzähl dem ernsten Mann
Von jener, die den Liebsten sucht, o sage
Noch einmal, wie sie ihn nicht finden kann! - |
- Auf sieben Paar Eisenschuhn
bin ich gegangen.
Als ich dich suchte, die ich abgenützt,
Verbraucht hab ich von Eisen sieben Stangen,
Auf die ich mich bei schwerem Weg gestützt. |
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Italienische Gedichte (Italienisch und Deutsch) |
„Du schmücktest ihm mit Lächeln seine Lieder": Klassische italienische
Gedichte von Dante Alighieri bis Giosuè Carducci. |
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Und sieben Flaschen füllte
ich mit Tränen,
Mit bittren Tränen, sieben Jahre her.
Du schläfst bei meinen Rufen, meinem Stöhnen,
Es kräht der Hahn, und du erwachst nicht mehr! - |
Großmutter, o wie schön
ist sie noch immer,
Deine Geschichte, grad wie du erzählst,
Und was ich früh und spät gesucht und nimmer
Gefunden, was mich manches Jahr gequält, - |
Vielleicht ist hier, wo Ruhe
noch zu haben
Ich nicht mehr hoffe, mag am Wege sein;
Vielleicht, Großmutter, ists mit dir begraben,
Einsam dort oben, im Zypressenhain! |
Wie eilig weiter die Maschine
keuchte,
Und ich im tiefsten Herze traurig war,
Kam da von Füllen wiehernd eine leichte,
Durch das Geräusch herangelockte Schar. |
Ein grauer Esel nur ließ
sich nicht stören,
Der ruhig an blauroter Distel fraß,
Er sah nicht auf, schien keinen Lärm zu hören,
Und ernst und langsam nagte er fürbaß. |
Der Ochse |
Dich lieb ich, frommes Tier, und mich erquickt
Es wie ein Wohlgefühl von Kraft und Frieden:
Ob du, ein Erzbild, daliegst, unverrückt,
Das freie, reichbebaute Feld zu hüten. |
Ob du, geduldig unters Joch gebückt,
Dem Menschen hilfst, dem arbeitsam bemühten;
Er ruft und stachelt, doch dein Auge blickt
Als stumme Antwort ruhig und zufrieden. |
Aus deinen breiten schwarzen Nüstern raucht
Der warme Atem und, wie dankerfüllt,
Läßt du ein froh Gebrüll zum Himmel steigen. |
Und in dem sanften Ernst des Auges taucht
Aus feuchtem Grund ein friedlich Spiegelbild:
Der weiten grünen Fluren göttlich Schweigen. |
Mailied |
Der Mai weckt aufs neue die Nester,
Der Mai löst vom Herzen die Fesseln,
Er bringt die Blumen, die Nesseln,
Die Schlangen, der Nachtigall Lied. |
Es lärmen auf Erden die Kinder,
Am Himmel die Vögel, die losen,
Ihr Haar schmücken Mädchen mit Rosen,
In den Augen der Sonnenschein glüht. |
In Tälern, auf Wiesen und Bergen
Ist alles ein Blühen und Werden,
Im Wasser, im Himmel, auf Erden
Ein Keimen, ein Singen, ein Girrn. |
Und mir keimt ein Dornengebüsche
Im Herzen mit Zacken und Spitzen,
Drei Vipern hab ich drin sitzen
Und einen Kauz im Gehirn |
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