Als ich Kind war,
zählten seine Tafeln nicht zu meinen Lieblings-Comics.
Zu chaotisch seine Bilder, zu surrealistisch, respektlos
und verwirrend all die Details. Erst viel später
enteckte ich, dass gerade diese Eigenschaften die enorme Faszination
dieses „Fumetti„-Zeichner ausmachten.
Fumetti,
das ist der italienische Name für Comics. Das Wort
kommt von fumo (Rauch). Weil doch die Sprechblasen
wie kleine Rauchwolken aussehen.
In Italien wird
bekanntlich weniger gelesen als im mittleren und nördlichen
Europa. Umso mehr werden fumetti verschlungen. Neben
Comics für Kinder – wussten Sie, dass ein Großteil der
in Deutschland aufgelegten Disney-Comics von italienischen
Zeichnern kommt? – gibt es eine ganze Gattung von so genannten fumetti per adulti, Comics für Erwachsenen mit erotischen
Inhalten.
Benito Franco Jacovitti,
geb. in Termoli (Molise) am 9. März 1923, gest. in
Rom am 3. Dezember 1997, war ein italienischer Comic-Zeichner
und Kinderbuchillustrator. Er war die absolute Ausnahmeerscheinung in der Welt der italienischen Comic-Zeichner, der mit seinem surrealistischen Universum jahrzehntelang die italienische
Alternative zu Walt Disney darstellte. Es ist
kaum verständlich, weshalb er außerhalb
Italiens so wenig Beachtung fand. In Italien ist er eine Legende!
Bereits im Alter von sieben Jahren interessierte er sich
für fumetti. Noch als Kind zog er mit der Familie nach Macerata und anschließend nach Florenz, wo er das Kunst-Gymnasium
besuchte (unter seinen Schulkameraden waren Franco Zeffirelli und Federico Fellini). 1939, als Sechzehnjähriger
begann er für das satyrische Magazin „Il brivido“
zu arbeiten. Im selben Jahr veröffentlichte er seine
ersten fumetti in „Il Vittorioso„. 1940 erschien dort
auch zum ersten Mal seine Serie „Pippo“, die bis 1967
lief und als eine seiner berühmtesten gilt.
In Florenz bekam er den Spitzname „Lisca di Pesce“
(Fischgräte), weil er so groß
und hager war. Seit damals unterschrieb er jede seiner Arbeiten
mit einer Fischgräte unter seinem Namen. Die 1939 begonnene
Zusammenarbeit mit der Jugendzeitschrift
„Il Vittorioso“ – eine katholische Zeitschrift, die nur aus italienischen Comics bestand – hielt bis 1966 an. 1941 schuf
er „Il Barbiere della Prateria“
(Der Barbier der Prärie), 1944 „Chicchirichi“,
danach „Raimondo il Corsaro Dipinto“ (Raimund,
der bemalte Korsar), 1950 „Pasqualino e Pasqualone„.
Auch schuf er Fumetti-Versionen von Pinocchio,
Ali Baba und Don Quijote. Er arbeitete auch
für für den „Corriere dei Ragazzi“
und den „Corriere dei Piccoli“ (bis Ende
der 1970er Jahre) und für die Kinderbeilage
des „Il Giorno„. 1957 erschien in dieser
erstmals die Western-Parodie „Cocco Bill“,
seine erfolgreichste Comicserie.
Die Serie um einen Kamillentee trinkenden Cowboy,
der gegen alle möglichen Verbrecher vorgeht und dabei von
seinem kettenrauchenden Pferd begleitet wird, ist gekennzeichnet
durch einen ungezügelten Humor und von absurden Details
überquellende Zeichnungen.
Er zeichnete
auch für „L'Europeo“ und für
„Linus„. Inzwischen veröffentlichte er
das „Diario Vitt“ (Tagebuch Vitt), das für
viele Jugendliche der 1950er ud 1960er Jahre ein wahrhaftiger
Schulbegleiter war. In den 1960er Jahre bebilderte
er eine – sehr erfolgreiche – Ausgabe des Pinocchio von Collodi, die einen großen
Erfolg hatte.
Cocco bill als Zeichentrickfilm ()
So zahlreich sind die von Jacovitti geschaffenen Figuren,
dass es schwer fällt, über sie zu sprechen, sie definieren
zu wollen. Am bekanntesten ist wohl der Revolverheld Cocco Bill, aber nicht minder
interessant sind: Baby Tarallo, Gionni Peppe,
Jack Mandolino mit Pop Corn, Zorry Kid,
Pippo, Pertica und Palla und ihr Hund Tom,
Cip der Erzpolizist mit seinem Hund Kilometer,
Giorgio Giorgio genannt Giorgio, Frau Carlomagno,
Tom Ficcanaso (Tom Herumschnüffler), Joe Balordo (Joe Dummkopf), Alonzo
Alonzo genannt Alonzo, Giacinto corsaro dipinto (Giacinto, der angemalte Korsar), Oreste
il guastafeste (Oreste Spielverderber), Microciccio Spaccavento
und viele andere.
Die Veröffentlichung
des „Kamasultra“ (1983), welches in
Kamasultra
Zusammenarbeit
mit Marcello Marchesi entstand und allerlei Bizarres zum Thema
Sex enthält, schockierte das katholische Italien und zwang
Jacovitti, die Mitarbeit mit dem „DiarioVitt“
aufzugeben. Der Comic wurde wegen seiner sexuellen Darstellungen
auch in Deutschland zeitweilig indiziert. Die naive und sonnige
Erotik von Jacovitti regt heutzutage niemanden mehr auf, erlaubt
es aber (in Italien gab es vor kurzem eine Neuauflage), einen
weiteren Aspekt dieses vielseitigen Comic-Autors kennenzulernen,
der nicht zu Unrecht als der „Vater" der italienischen
„Fumetti“ gilt.
Man hat seine Werke mit
jenen von Escher oder Bosch verglichen. Seine Fantasie ist unbeherrschbar
und produziert Geschichten, die unvergleichlich absurd und verworren
erscheinen. Seine Bilder sind bis in die letzte Ecke ausgefüllt
mit seinen Gestalten und auch mit Füßen,
Schnecken, Schlangen Würsten und Würmern, die alle mit den verschiedensten Ausdrücken um sich schauen.
An seinem Grundstück
soll sich ein Warnschild befunden haben, auf dem „Vorsicht,
bissiges Lama“ stand!
In Rom sind einige Straßen und Plätze nach Comiczeichnern
benannt worden. So gibt es jetzt einen „Largo Benito Jacovitti„.
Auf Deutsch erschienen 1975/76 fünf Bände der Serie „Cocco
Bill“ beim Verlag Gevacur in Zug in der Schweiz. 2002/2003
wurde die deutsch-italienische 26-teilige Zeichentrickserie gleichen
Namens produziert.