Bekannt wurde Oliviero Toskani (1942) durch die spektakulären Werbekampagnen, die er
von 1984 bis 2000 für die Firma Benetton entwarf, die
weltweit für Aufsehen sorgten und das Image des Modeimperiums
im positiven oder im negativen Sinne prägten.
Toscani studierte zwischen 1961 und 1965 Fotografie und Grafik an
der Kunstgewerbeschule in Zürich und machte erstmals
mit dem Foto eines hübschen Frauenhinterteils in Jeans auf sich aufmerksam. Das Neue daran war die Aufschrift, die auf den Jeans zu lesen war: „Wer mich liebt, folge mir“. Markenname der Jeans: Jesus. Keine Frage: ein Aufsehen erregender Einfall. Nach dem Fotografie-Studium begann
er eine jahrelange Zusammenarbeit mit internationalen Modemagazinen, untern anderen: Elle, Vogue, Uomo Vogue, Lei, Donne, Mademoiselle, Harper's.
Anfang der 1980er Jahre begann er, die Werbekampagnen für
BENETTON zu entwerfen. Von Anfang an zeigte er, dass er den
Formen der klassischen Werbung nicht folgen wollte. Er setzte auf Schockeffekt statt auf die subtile Suggestion der Ästhetik. Er sagte, er
wolle damit Denk- und Diskussionsprozesse in Gang setzen. Was ihm zweifelsohne gelungen ist: Die Bilder von sich küssenden Geistlichen, kopulierenden Pferden und sterbenden
Aidskranken konnten sicher sein, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Toscanis Absicht war es, mit der ganzen Macht, die Werbung auf Menschen ausüben kann, das Bewusstsein dieser zu verändernn. Einige der genannten Fotos können Sie auf forward-festival.com, auf spiegel.de oder auf Toscanis Webseite olivierotoscani.com sehen.
Toscani
behauptet, dass die konventionelle Produktwerbung sozial
nutzlos sei. Dort würden Unsummen verschwendet, um
mittels Lüge die Konsumenten zum Kaufen zu animieren. Seine Konzeption
von Werbung hingegen möchte über die eigentlichen Zielen des Verkaufs hinweg auch humane Ziele vermitteln. Das (verkaufende) Unternehmen solle dazu
dienen, auch gesellschaftliche Missstände bekannt zu machen, also der Aufklärung der Menschen dienen.
Diesen Absichten entsprechend arbeiten einige Toscani-Werbekampagnen
mit visuellen Schockbildern. Verstümmelte Leichen
werden dabei ebenso gezeigt wie Fotos von Sterbenden
oder das Foto eines elektrischen Stuhls. Er stellte das
konventionelle Schönheitsdeal
in Frage, indem er beispielsweise mit Behinderten Werbung machte, die das Down-Syndrom aufweisen.
Interview mit Toscani
All diese provozierenden, Tabu brechenden Bilder liefen unter dem Werbemotto „United Colours of BENETTON„. Als Ende der 1980er Jahre das Apartheidsystem in Südafrika zu zerfallen
begann, veröffentlichte Toscani das Foto einer schwarzen Frau,
die ein weißes Kind stillt. In den USA gab es deshalb große Proteste. Denn das Bild konnte ebenso als rassistisch
wahrgenommen werden, falls man die Schwarze als Amme interpretierte. Aber es gab auch weniger kontroverse Bilder, wie jenes
von spielenden Kindern mit unterschiedlichen Hautfarben, das
zur Toleranz aufrief.
Die meisten
Kontroversen erzeugten jene Werbefotos, die besonders
Elend und Leid zeigten, wie die blutverschmierten Kleidungsstücke
eines im Bosnien-Krieg getöteten Soldaten, einen an AIDS sterbenden Menschen im Kreis seiner
Familie oder ein mit einem „H.I.V. Positive„-Stempel
versehenes nacktes Hinterteil. Eines der Vorwürfe, die Toscani entgegengebracht wurde, war, dass er aus dem Thema „Krieg
und Elend" Kapital schlagen wollte.
Das Motiv des HIV-Stempels auf einem Hinterteil wurde am 3. April 1994 vom OLG Frankfurt/Main als
sittenwidrig nach §1 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb)
erklärt. Das Argument des Gerichts war, dass der Zusammenhang
mit dem beworbenen Produkt fehle, und dass es dem Werbenden nur um eine wettbewerbswidrige
Schockwerbung ginge, um mit der erzeugten
Publicity einen Vorteil zu erlangen. Das Leid der Aids-Kranken werde
außerdem zu niederen Zwecken benutzt, ihre Würde
mit Füßen getreten.
Die Form der
Werbung von BENETTON bietet insgesamt wenig bis gar keine Informationen
über das Produkt. Die Imagewerbung des Unternehmens setzt
vielmehr auf das Auslösen von Emotionen, bei der „Schockwerbung"
werden beim Betrachter Gefühle wie Ablehnung, Entsetzen
oder Mitleid hervorgerufen. Ein Gefühl des
Sich-Solidarisierens mit dem werbenden Unternehmen kann ebenso
die Folge sein wie eine Ablehnung derartiger Marketingstrategien.
In jedem Falle findet eine Polarisierung statt.
Das Motiv eines an Aids schwer erkrankten Mannes im Kreis seiner trauernden
Familie wurde am 9. März 1992 durch einstweilige
Verfügung untersagt.
Auch hier war die Begründung, dass die Würde des Menschen
verletzt worden sei. Man solle
auch die Gefahr der Abstumpfung gegenüber dem Schicksal
leidgeplagter Menschen bedenken.
Beid dem Foto der blutverschmutzten Kleidungsstücke wurde BENETTON (und somit Toscani) der Vorwurf entgegengebracht,
Werbung mit dem Entsetzten eines tragischen Schicksals zu machen und dieses
schamlos ausnutze, um den Absatz zu maximieren. Obwohl neben dem Firmenlogo einen Satz auf
Serbokroatisch stand, mit dem der Vater des Gefallenen seine Zustimmung
zur Werbung gibt, waren die Menschen in Kroatien und Slowenien,
die direkt vom Krieg betroffen waren, von der Anzeige schockiert.
Toscanis Erklärung, man würde mit der Werbung
den Menschen in Ex-Jugoslawien helfen, ist kaum
überzeugend, sicher würde von BENETTON nicht ein Teil der Einnahmen den Betroffenen zugehen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker stellte sogar Strafantrag gegen BENETTON wegen des niederen Motivs, mithilfe von Massenmord und Völkervertreibung
seinen Profit erzielen zu wollen.
Toscani. Die Werbekampagnen
für BENETTON
Die Werbung ist
ein lächelndes Aas
von Oliviero Toscani
Wie Werbung wirkt (C. Scheier, D. Held)
Gegen die Schock-Kampagne
von BENETTON wurde (auch mittels Boykottaufrufen) argumentiert,
dass unter der Vorgabe einer moralischen Absicht,
de facto Profit aus dem Leid anderer geschlagen wurde.
Die Kampagne
mit Fotos von Todeskandidaten
aus US-Gefängnissen, die laut Toscani
ein Appell gegen die Todesstrafe sein sollte, löste weltweite Kontroversen
aus und führte in den USA zu einem
Boykott seitens zahlreicher Geschäfte. Daraufhin entschuldigte sich der italienische Modekonzern
für diese Werbekampagne.
Diesmal hatte es für Oliviero Toskani Konsequenzen, denn im Mai 2000 wurde seitens BENETTON sein Vertrag gekündigt.
Diese Entscheidung ist auch ein endgültiger Beweis dafür, dass – wie ehrlich auch immer die Absichten Toscanis gewesen seien – es der Firma BENETTON nicht wirklich um die Verfolgung humaner
Ziele ging.
Nebenbei bemerkt: BENETTON verlor nach den oben genannten Kampagnen allein in
Deutschland 230 Geschäfte!
Auch nach seiner BENETTON-Zeit sorgte
Toscani immer wieder für Aufsehen mit schockierenden Werbefotos.
Eine von der Zeitung „La Repubblica“
veröffentlichte Anzeige
der italienischen Modemarke „NO-L-ITA“, die auch
in mehreren italienischen Städten auf riesengroßen Plakaten zu sehen war, zeigte den nackten und völlig ausgemergelten Körper
eines magersüchtigen Mädchens.
Die von Toscani fotografierte Kampagne gegen Magersucht
(Anorexie) wurde sogar vom Gesundheitsministeriums unterstützt.
Auch bei dieser Kampagne gab es Befürwörter
(neben dem Gesundheitsministerium beispielsweise die Modebranche),
die dachten, dass die Initiative geeignet sei, mehr Verständnis
für die „Krankheit Magersucht" zu erzeugen. Die Kritiker behaupteten hingegen wieder, dass es dabei nur
um Werbung auf dem Rücken der Kranken gehe. Die
Psychiatrie-Professorin Emilia Costa befürchtete sogar,
dass die Bilder eher einen Nachahmungseffekt auslösen könnten. Jedenfalls wurde die umstrittene Kampagne in Italien kurz darauf verboten. Die Werbeaufsichtsbehörde stellte fest, dass die Bilder gegen zwei Artikel aus dem Werbekodex verstießen.
Toscani. Die Werbekampagnen
für BENETTON
Die Werbung ist
ein lächelndes Aas
von Oliviero Toscani