Keiner, im Italien der frühen Nachkriegszeit, der sich nicht bekennen und nicht Partei ergreifen musste - für einen der beiden"Champions“. Die Entscheidung zwischen den Radsportlegenden
und großen Rivalen Gino Bartali und Fausto Coppi war ein „sportliches" Muss. Ganz Italien teilte sich in die Lager der „Bartalisten" und der „Coppisten“.
Der Giro dItalia gilt nach dem Tour de France als das zweitwichtigste Etappen-Radrennen der Welt. Er wird sowohl für Männer als auch seit 1988 für Frauen ausgetragen. Seit 1909 wird der Giro alljährlich (mit Ausnahme der Jahre des Ersten und Zweiten Weltkriegs) während drei Wochen im Mai ausgetragen.
GinoBartali (1914-2000) gehörte neben FaustoCoppi zu den populärsten italienischen Radsportlern der Geschichte. Sein
Spitzname war Ginettaccio. Bartali war einer der besten
Kletterer aller Zeiten, mit einem von Natur aus
extrem langsam schlagenden Herzen. Vor jedem Rennen verrichtete er, der auch der Fromme (il pio) genannt wurde, ein langes Gebet. Nicht nur aus diesem Grund war Papst Pius XII. einer seiner größten Fans. Bartali war der große Gegner von FaustoCoppi. Legendär war ihre Rivalität, die das Nachkriegsitalien in zwei Lager spaltete (nicht zuletzt wegen den entgegengesetzten politischen Meinungen der beiden). Mit dem fünf Jahre jüngeren
Campionissimo verband Bartali eine knallharte
Dauerrivalität. Ihre Kletterduelle sind legendär.
Ihre Hassliebe wurde auf jenem berühmten Foto zur symbolträchtigen
Szene, auf dem sie sich am Berg eine Flasche reichen – wobei
lange Zeit unklar blieb, wer wem das Wasser reichte. Ein
Film, den die RAI im Jahr 2006 realisierte, scheint zu beweisen, dass
es Bartali war, der dem Gegner die Flasche reichte.
GinoBartali und FaustoCoppi verkörperten im damaligen Italien
die zwei Pole der Gesellschaft: Coppi, der mit seiner Geliebten (der „dama bianca“) bei den Katholiken
für einen dauernden Skandal sorgte, stand für den Bruch mit der Tradition, der fromme Bartali hingegen für das Bewährte. Die riesige italienische
Fan-Gemeinde war in die unversöhnlichen Lager der „Bartalisten"
und der „Coppisten" geteilt.
GinoBartali, aktiver Radprofi von 1935 bis 1953, galt als der beste Bergfahrer
seiner Zeit. Er gewann insgesamt sieben Mal die Bergwertung
beim Giro d'Italia. 1936, 1937 und 1946 triumphierte
Bartali auch in der Gesamtwertung des Giro. 1938 konnte
er schließlich auch die Tour de France gewinnen.
Wegen des Zweiten Weltkriegs musste er seine
Karriere für mehrere Jahre
unterbrechen: „Der Krieg hat mir die schönsten Jahre
gestohlen“, sagte Bartali später einmal. 1948 nahm er wieder an der Tour de France teil und
gewann ihn nach zehn Jahren
ein zweites Mal mit
fast einer halben Stunde Vorsprung vor dem Zweitplatzierten.
Damit wurde er zum Volkshelden. Kein Radfahrer außer ihm
hat es je geschafft, den Triumph in Paris nach so vielen Jahren zu wiederholen. An jenem Tag, als der „Campione“ zum zweiten Mal das Gelbe Trikot gewann, gab es im Parlament, seitens aller Abgeordneten, egal ob von links oder von rechts, minutenlange standing ovations.
Bartali-Bilder
Curzio Malaparte schrieb über ihn: „Bartali besaß den naiven und tiefen Glauben der spanischen Stierkämpfer. Jedes Mal, bevor er den 'Stier' herausforderte, kniete er nieder und betete. Jedes Mal, wenn er die Etappe besiegt hatte, kniete er wieder nieder und betete zu Gott, um sich für den Sieg zu bedanken." „Ja" – gestand sein Sohn Andrea – „Mein Vater hat nie seine Religiosität versteckt. Ganz im Gegenteil. Er war der Heiligen Therese von Lisieux ergeben, die er nach dem tragischen Tod seines Bruders entdeckt hatte. Aber er hatte auch eine besondere Verehrung für die Madonna von Lourdes. Der Sieg im Jahr 1948 hatte für ihn einen besonderen Stellenwert und gab ihm einen ungemeinen Antrieb. An jenem Tag brachte er die Blumen, die er bei der Siegerehrung bekam, nicht seinen Fans, sondern nahm sie mit zur Lourdesgrotte.„
Paolo Conte „Bartali„
GinoBartali, l'intramontabile [DVD/]
Lexikon Radsport
Bei der Tour de France des Jahres 1949 musste der inzwischen fünfunddreißigjährige Bartali die Überlegenheit des jüngeren Rivalen Coppi anerkennen, erreichte aber mit dem zweiten Platz ein letztes
hervorragendes Ergebnis bei der Tour.
Eine Auswahl seiner Siege
3 Mal den Giro d'Italia: 1936,
1937 und 1946
1 Mal den Giro d'Italia di Guerra
(im Krieg) 1942
2 Mal den Tour de France: 1938
und 1948
4 Mal die italienische Straßen-Radmeisterschaft:
1935, 1937, 1940 und 1952
2 Mal den Tour de Suisse: 1946
und 1947
3 Mal den Giro di Lombardia: 1936,
1939 und 1940
4 Mal die Milano-Sanremo: 1939,
1940, 1947 und 1950
5 Mal den Giro della Toscana: 1939,
1940, 1948, 1950 und 1953
3 Mal den Giro del Piemonte: 1937,
1939 und 1951
Erwähnenswert ist auch Bartalis Einsatz in den Jahren 1943 und 1944 zur Rettung von
mindestens 800 Juden. Er war in dieser Zeit als Fahrradkurier für die von Elia Dalla Costa, dem damaligen Erzbischof von Florenz, organisierten Untergrundbewegung, die sich für die Rettung von Juden einsetzte.
Er schmuggelte in seinem Fahrradrahmen Bilder und Spezialpapier zur Herstellung von gefälschten
Pässen für Juden, die sich in Klöstern versteckt
hielten. Belegt ist auch Bartalis Reaktion, als die faschistischen
Machthaber versuchten, ihn einzuschüchtern. „Ich tue,
was mir beliebt“, erwiderte er den Schwarzhemden.
So groß war damals Bartalis Popularität, dass es niemand wagen konnte, an
den vierfachen italienischen Meister Hand zu legen.
Wegen dieses Einsatzes für die Rettung von Juden während des Zweiten Weltkriegs wurde an Bartali am 23. September 2013 von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel posthum der Titel eines "Gerechten unter den Völkern" verliehen.