Ich kannte Don Gallo nicht persönlich, zu viele Jahre bin ich schon von Genua weg. Dennoch war er kein Unbekannter für mich. Er hatte meine Nichte getauft und mich mit seinem sozialen Engagement überzeugt. Er war ein Priester, wie man sich ein Mann der Kirche gewünscht hätte.
„Die Kirche sollte die Steuern zahlen und arm sein“. Das könnten die Worte von Papst Franziskus sein, ist aber eine Aussage von einem, der niemals hätte Papst werden können, der Priester der Straße, der Genueser Don Gallo.
Don Andrea Gallo (geb. am 18. Juli 1928 in Genua, gest. am 22. Mai 2013 ebenfalls in Genua) war ein katholischer Priester und christlicher Sozialreformer. Er gründete die Gemeinschaft San Benedetto al Porto in Genua und ist in Italien als der Priester der Straße bekannt. Don Gallo war in Italien und insbesondere in seiner Heimatstadt Genua sehr beliebt.
Er wetterte gegen die Korruption und setzte sich für die Allerärmsten in der Gesellschaft ein und legte sich nicht selten mit der kirchlichen Obrigkeit an. Er zog mit Demonstranten durch die Straßen, zeigte die Faust der Partisanen in die Kameras und setzte sich unter anderem für die Legalisierung weicher Drogen ein.
Mehr als 6000 Personen waren bei seinem Begräbnis anwesend. Als im Laufe der Messe der Erzbischof von Genua, Kardinal Bagnasco, den früheren Kardinal Siri erwähnte, der Don Gallo 1970 zwangversetzt hatte, wurde er von der Menschenmenge in und vor der Kirche ausgebuht. Und die Menge stimmte dann das (kommunistische) Partisanenlied „Bella ciao“ an.
Als Jugendlicher trat er in den Orden der Salesianer Don Boscos ein. In Rom studierte er Philosophie. 1953 ließ er sich dann von seinem Orden nach São Paulo (Brasilien) schicken, wo er Missionsarbeit betrieb und Theologie studierte. Zurück in Italien schloss er sein Theologiestudium ab und wurde schließlich am 1. Juli 1959 zum Priester geweiht.
Eine Kirche der Armen
1960 wurde Gallo Kaplan auf dem Schulschiff Garaventa, das von einer 1883 gegründeten privaten Stiftung für straffällig gewordene und schwer erziehbare Jugendliche geführt wurde. Dort versuchte er, einen neuen, weniger repressiven Erziehungsansatz einzuführen, und eine Pädagogik auf der Basis von Vertrauen und Freiheit einzuführen, die bei den Jugendlichen gut ankam. Nach drei Jahren wurde ihm - ohne Begründung - die Verantwortung für das Projekt von seinem Orden entzogen. Daraufhin verließ Gallo die Salesianer und wurde in das Erzbistum Genua inkardiniert.
Kardinal Giuseppe Siri, der Erzbischof von Genua, schickte ihn zunächst auf die Insel Capraia, um dort als Gefängniskaplan zu arbeiten. Zwei Monate später wurde er aber zum zweiten Priester der Kirchengemeinde Carmine in Genua bestimmt, wo er sofort damit begann, den Schwerpunkt auf die Unterstützung der Armen und Ausgegrenzten zu legen. Diese Arbeit, verbunden mit seiner deutlichen Kritik am politischen und kirchlichen Establishment, trug Don Gallo den Vorwurf ein, Kommunist zu sein.
1970 kam es auf Veranlassung der italienischen Bischofskonferenz zu einer Zwangversetzung in das Gefängnis von Capraia durch Kardinal Siri. Was zu seiner Versetzung geführt haben soll, war eine seiner Äußerungen während einer Predigt. Im Viertel war eine Haschischkneipe aufgeflogen, was die bürgerliche Einwohnerschaft sehr empört hatte. Don Gallo nahm dies zum Anlass, über andere Drogen zu sprechen, namentlich jene der „Sprache“, die aus einem Kind armer Leute einen „zum Studium ungeeigneten“ machte, und aus einem Bombardement von wehrlosen Zivilisten eine „Handlung zur Verteidigung der Freiheit„.
Don Gallo weigerte sich, dieser Zwangsversetzung Folge zu leisten und wurde stattdessen vom Pfarrer von San Benedetto al Porto, Don Federico Rebora, in seine Gemeinde aufgenommen. Dort gründete Don Gallo die Gemeinschaft San Benedetto al porto, die sich überregional der Arbeit mit Armen und Ausgegrenzten widmet. Die Gemeinschaft bot Drogenabhängigen, Obdachlosen, Prostituierten und Ex-Häftlingen einen Schutzraum. Daneben engagierte sich Don Gallo in der italienischen Friedensbewegung und in einer Bewegung zur Legalisierung weicher Drogen. Weshalb er, der sich selbstironisch „angelicamente anarchico“ (engelhaft anarchisch) nannte, sich einmal im Genueser Rathaus ungeniert einen Joint anzündete.
Er war gegen das Zölibat und jede Art von Sexfeindlichkeit („die körperliche Liebe ist ein Gottesgeschenk“), Homo- und Transsexualität inbegriffen, sowie für die kirchliche Freigabe der Präservative. Und natürlich für die Priesterweihe von Frauen.
Die geistige Offenheit und die „erlebte" Solidarität machte die Gemeinschaft sehr bald auch zum Treffpunkt für Jugendliche und Künstler. Don Gallo blieb in Genua und seine Popularität, die er auch seinem Humor und seiner Selbstironie verdankte, wuchs kontinuierlich. Mit dem inzwischen verstorbenen LiedermacherFabrizio De Andrè, der auch in Genua lebte und den Don Gallo humorvoll seinen „fünften Evangelisten“ wegen seiner sozialkritischen Lieder nannte, war er sehr eng befreundet.
Menschenmenge beim Begräbnis v. Don Gallo
Don Gallo, der als Jugendlicher bei den Partisanen war, nannte sich selbst einen „Priester des Bürgersteigs“, der keinen Unterschied zwischen Predigt und Handeln macht und damit bei „den Letzten“, den Armen und Ausgegrenzten beginnt. Er berief sich auf Gerolamo Savonarola, den Bußprediger von Florenz, der schon vor 500 Jahren soziale Gerechtigkeit einforderte und von der Kirche verbrannt wurde, ebenso auf Don Bosco, den Gründer der Salesianer, wegen dessen Spiritualität und seines lebenbejahenden Pragmatismus im Umgang mit benachteiligten Jugendlichen.
Bei seinen Auftritten waren Theater und Konferenzsäle immer gesteckt voll. Er war ein begnadeter Redner.
Don Gallo bezeichnete sich als „der Priester der Letzten“. "Wenn man mich fragt", sagte er einmal, „wo ich studiert habe, antworte ich: Meine Universität ist die Straße, meine Reisegefährten sind Drogenabhängige, Verlassene, Homosexuelle, Transsexuelle, Prostituierte; das sind die Menschen, mit denen ich die Nächstenliebe teile.„
Er sprach gegen die „Märkte" und die Logik des Profits, über die armseligen Renten und die Perspektivlosigkeit der heutigen Generation: "Regt Euch, organisiert Euch, studiert! Wisst Ihr, wer das gesagt hat? Antoni Gramsci, im Jahr 1919!" (Antonio Gramsci war einer der Gründer der Kommunistischen Partei Italiens).
Seine Stellungsnahmen waren nicht selten mit Absicht provokativ. "Ein Homosexueller Papst? Das wäre wunderbar! Gegenüber Gott sind alle gleich, egal ob hetero- oder homosexuell. Es ist die Gleichheit aller Kinder Gottes, die Quintessenz der Evangelien." Als er jung war, so erzählte er einmal, habe ihm ein Bischof Avancen gemacht. Er habe ihn daraufhin zum Teufel gejagt und ihm gesagt: „Hochwürden, wenn Sie möchten, können wir zusammen in ein Bordell gehen.„
Über Berlusconi äußerte er sich einmal etwa folgendermaßen: „Er ist bei uns willkommen, wie alle anderen Menschen auch. Der arme Mann ist krank, er soll in unsere Gemeinschaft kommen, er hat das bitter nötig. Er wird sehen, dass es ihm hier gut geht, wir können ihn hier auch von seiner Sexkrankheit heilen.“
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Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes
Eine Kirche der Armen: Für ein prophetisches Christentum