Canossa ist ein Mythos der Geschichte. Als Gang nach Canossa bezeichnet man den im Januar 1077
erfolgten Gang des deutschen Königs Heinrich IV., der später
Kaiser des Heiligen Römischen Reiches werden sollte, zu Papst Gregor VII., der auf der Burg Canossa der papsttreuen Markgräfin Mathilde von Tuszien geflüchtet war. Das Ziel des Königs war, vom Papst die Aufhebung der Exkommunikation zu erreichen. Es handelte sich bei diesem Ereignis um einen der dramatischsten
Konflikte des gesamten Mittelalters, der vom Anspruch des
Papstes auf den Gehorsam des Kaisers geprägt war.
Deshalb wird heutzutage der Begriff „Nach Canossa gehen“ in mehr al dreißig Sprachen im übertragenen
Sinne als Bezeichnung für einen erniedrigenden Bittgang
verwendet.
Januar
1077: Vor den hohen Mauern der
Felsenburg Canossa im Nordapennin wartete – so wird es meistens geschildert – der im Büßergewand gekleidete, hungernde und vor Kälte
zitternde deutsche
König Heinrich IV drei Tage
lang darauf, eingelassen zu werden.
Erst dann ließ sich Papst Gregor VII., der im Jahr zuvor den König
mit dem Bannfluch belegt hatte, dazu herab, ihm den Eintritt
in die Burg zu gewähren.
Der König
kam deshalb als Büßer, weil die deutschen Fürsten ihn nur dann weiter als König
anerkennen wollten, wenn er vom Papst wieder in den Schoß
der Kirche aufgenommen würde.
Durch diese Demütigung konnte Heinrich IV. seinen Thron zwar retten,
doch um welchen Preis: Ein König, der sich unterwirft,
das wird die Gemüter über Jahrhunderte hinweg bewegen.
Der Gang nach Canossa
war ein wichtiger Meilenstein im sogenannten Investiturstreit.
Im 11. und 12. Jahrhundert stritten die durch den Kaiser vertretene
weltliche und die vom Papst repräsentierte geistliche Macht
um das Recht der Investivtur, also um das Recht der Einsetzung
von Bischöfen und Äbten in ihre Ämter.
Die Ernennung der Bischofe sicherte die königliche Macht im Reich. Die Bischöfe waren dem Kaiser treu. Sie verfügten über Reichtümer und Territorien, stellten Truppen. So schaffte sich der Monarch mit der Besetzung der Bistümer Verbündete. Papst Gregor VII. wollte die Entscheidung über die Einsetzung der Bischöfe aber nur der Kirche vorbehalten. In seinem Schriftstück „Dictatus papae“ legte er sogar das Recht des Papstes fest, den Kaiser abzusetzen.
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Gregor VII. Papst zwischen Canossa und Kirchenreform
Der König fühlte sich indessen als designierter Kaiser der Christenheit und als Nachfolger Karl des Großen und fühlte sich daher von Gott berufen. Während des Reichstags in Worms im Januar 1076 kündigte Heinrich zusammen mit seinen Bischöfen dem Papst nicht
nur den Gehorsam auf, sondern forderte ihn, der unter Missachtung des Papstwahldekrets von 1059 ins Amt gekommen war, sogar zum Rücktritt
auf.
Papst Gregor VII. konterte auf der Fastensynode 1076, wo das Schreiben des deutschen Königs unter großer Empörung der Anwesenden verlesen wurde. Er reagierte umgehend mit der Exkommunikation und Suspendierung Heinrichs. Er sprach König Heinrich die Herrschaft über das Reich der Deutschen und Italiens ab, löste alle Christen vom Eid, den sie ihm geleistet haben und untersagte, dass ihm irgendjemand weiter als König diene.
Heinrich und der Papst
Heinrich IV. unterlag also dem
Kirchenbann. Dies bedeutete unter anderem, dass ihm alle kirchlichen
Sakramente wie Heirat, Absolution, letzte Ölung und ein
Begräbnis auf einem kirchlichen
Friedhof verwehrt wurden.
Nach dem Kirchenbann fielen viele
der deutschen Fürsten, die Heinrich bis dahin unterstützt
hatten, von ihm ab. Schließlich entschieden sich die Fürsten des Reiches: Binnen eines Jahres musste sich Heinrich vom Bann des Papstes befreien.
Um einem päpstlichen Gericht auf deutschem Boden zuvorzukommen – viele deutschen Fürsten hätten nur allzu gerne den ungeliebten König gestürzt – brach
Heinrich IV. im Dezember 1076 nach Italien auf. Gregor VII. hatte
sich damit einverstanden erklärt, ihn auf italienischem
Boden zu empfangen. Auf der Burg der Mathilde von Tuszien (Mathilde von Canossa) trafen die beiden Kontrahenten
im Januar 1077 schließlich aufeinander und der Papst spendete Heinrich die Sakramente, durch die er wieder in den Schoß der katholischen Kirche aufgenommen wurde.
Die Ruine der Burg Canossa
Die Begegnung
verlief vermutlich viel weniger dramatisch, als sie in den Geschichtsbüchern meistens dargestellt wird. Die einzige ausführliche historische Quelle gilt heute als tendenziös und propagandistisch. In Wirklichkeit war die Buße ein ganz formaler
Akt, den Heinrich vollzog und
der vom Papst nicht abgelehnt werden durfte. Die neuere Forschung sieht im
Gang nach Canossa sogar einen äußerst klugen taktischen und diplomatischen Schachzug, mit dem Heinrich IV. seinen
Gegnern unter den deutschen Fürsten die religiös-politische Rechtfertigung für seine Absetzung entzog.
Aber auch nach Heinrichs Lösung vom Bann des Papstes wollten ihn die oppositionellen Fürsten nicht mehr als König akzeptieren. Sie hatten seine Absetzung und die Wahl eines Nachfolger bereits vor den Ereignissen in Canossa vereinbart. Schließlich wählten sie am 15. März 1077 Rudolf von Rheinfelden als Gegenkönig. Erst in einem mehrjährigen Krieg gelang
es Heinrich schließlich, den Gegenkönig zu besiegen.
Der Niedergang des Papstes Gregor VII. wurde nach Canossa beschleunigt.
Im März 1080 erklärte er den König zwar wieder für abgesetzt, dieser ließ aber am 25. und 26. Juni 1080 in Brixen eine Synode abhielten. Bei diesem Konzil nahmen neun deutsche und 21 italienische Bischöfe teil. Dort wurde Papst Gregor VII. für abgesetzt erklärt und der Erzbischof von Ravenna unter dem Namen Clemens III. als Gegenpapst aufgestellt. Damit begann ein Schisma, das bis 1111 andauern sollte. Gregor VII starb 1086 im Exil in Salerno, ein Jahr, nachdem sich Heinrich vom neuen Papstzum
Kaiser hatte krönen lassen. Heinrich überlebte seinen
Kontrahenten noch um 20 Jahre.
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Canossa 1077 -
Erschütterung der Welt
Gregor VII. Papst zwischen Canossa und Kirchenreform