Südtirol, das 1919 durch den Vertrag von Saint-GermainItalien zugesprochen wurde, musste unter Mussolini Repressionen erleiden bis hin zum Verbot der deutschen Sprache im öffentlichen Raum. Erst ab 1946 bekamen die deutschsprachigen Südtiroler nach und nach wieder ihre Rechte.
Nach
dem Ende des Ersten Weltkriegs verlief die Nationalitätengrenze
in Südtirol bei Salurn, nicht
beim Brenner, wie es die Italiener dem amerikanischen
Präsidenten Wilson suggerierten, denn
England, Frankreich und Russland hatten Italien im Londoner Geheimvertrag vom April 1915 die Brennergrenze versprochen,
sodass beim Waffenstillstand die Italiener die Grenze sofort
besetzten.
Mit dem endgültigen Friedensvertrag
von Saint Germain (10. Sept. 1919) wurde der Teil Tirols südlich des Brenners zu Italien geschlagen. Italiens König Vittorio Emanuele sicherte den neuen Provinzen die
Wahrung der lokalen Institutionen und der Selbstverwaltung zu.
Italien hielt sich aber nur während der ersten zwei Jahre nach der Unterzeichnung an diese Zusicherungen.
Geschichte Südtirols
Südtirol
Südtirol kulinarisch
Machtergreifung Mussolinis
Der 24. April 1921 in Bozen ist in die Geschichte Südtirols als „Blutsonntag“ eingegangen. Die mit Totschlägern, Pistolen und Handgranaten bewaffneten „camicie nere“ (Schwarzhemden) Mussolinis kamen nach Bozen und überfielen einen Trachtenumzug: Es gab ein Toter und zahlreiche Verletzte.
Am 28. Oktober 1922 traten die Faschisten
den Marsch auf Rom an. Am nächsten Tag übertrug der
König Mussolini die Regierung.
Die faschistische Regierung begann
unmittelbar mit der Italienisierung – heute würde man
ethnische Säuberung dazu sagen –, mit dem Versuch
also, die deutsche Minderheit in den einverleibten Gebieten
ihrer sprachlichen, kulturellen und historischen Identität
zu berauben und mit italienischer Bevölkerung
zu ersetzen, bzw. zu majorisieren. Ettore Tolomei, Mitglied der faschistischen Partei in der Provinz Bozen, organisierte 1922 die Einnahme des Bozener Rathauses durch die faschistischen Schwarzhemden. Tolomei ließ bei dieser Gelegenheit Flugblätter verteilen, in denen er faschistische Hasstiraden gegen die deutschsprachige Tiroler Bevölkerung verbreitete: „Ein Schrei genügt und wir haben diesen schweinischen Abschaum eines überständigen Österreich hinweggefegt.“
Die Faschisten wollten mit der Assimilation der deutschsprachigen Südtiroler und
der Förderung der Zuwanderung von Italienern nach Südtirol
und der Ausbürgerung der deutschsprachigen Südtiroler ihr Ziel erreichen.
1923 wurde Südtirol in „Alto Adige“ (Oberetsch) umgenannt und der Provinz Trento zugeschlagen, und am 23. Oktober wurde ein Dekret erlassen,
das für alle staatlichen Ämter und öffentlichen
Unternehmen Italienisch als Amtssprache vorschrieb. Des Weiteren wurde der Schulunterricht in deutscher Sprache abgeschafft (Lex Gentile). Der Kanonikus M. Gamper ruft daraufhin zur Gründung der sogenannten "Katakombenschulen" auf. Dieser Privatunterricht wurde strafrechtlich geahndet.
Bereits 1916 war Tolomei offiziell mit der Erstellung des „Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige„ betraut worden, in dem unter anderem alle Südtiroler Orte, Berge, Flüsse und Gewässer mit zum großen Teil erfundenen italienischen Bezeichnungen versehen wurden. Ab
1923 wurden die Tiroler Ortsnamen mittels dieser vermeintlichen
„Rückübersetzungen" ins Italienische übersetzt. Diese Bezeichnungen sind im Übrigen auch heute noch die amtlich einzig gültigen. 12.000
deutsche Ortsnamen, Aufschriften, sogar Grabinschriften wurden
verboten und 20.000 deutsche Familiennamen italienisiert. Deutsche
Vereine wurden aufgelöst. Alles Deutsche wurde aus dem
öffentlichen Leben verbannt. 1924 wurde in allen Kindergärten die Verwendung der
italienischen Sprache vorgeschrieben.
Beginnend mit dem Jahr 1923 wurden die deutschen Zeitungen zensiert und schließlich verboten.
Erst 1927 durften – auf Druck des Vatikans – deutsche
Zeitungen wieder erscheinen.
Am 1. März 1924 wurde die italienische Sprache als einzige Amtssprache
eingeführt, was unter anderem zur Folge hatte, dass in den folgenden Jahren ein Großteil der deutschsprachigen
Beamten entlassen wurde.
Ab 1925 wurde bei Gericht nur noch Italienisch zugelassen.
Weil aber alle diese Maßnahmen nicht
zum gewünschten Resultat führten,
versuchte die faschistische Regierung, durch Zuwanderung von Italienern in Südtirol
eine mehrheitlich italienische Bevölkerung herbeizuführen.
Zwischen 1921 und 1939 wanderten 56.000 Italiener nach Südtirol,
sodass schließlich die Stadt Bozen eine mehrheitlich
italienische Bevölkerung bekam – und bis heute auch noch hat.
Das Deutsch-Italienische
Abkommen vom 22. Mai 1939
Die Sanktionen, die der Völkerbund
nach der erfolgten Eroberung Abessiniens 1935 – 1936 über Italien verhängte, zwang Mussolini dazu, eine Annäherung
an Deutschland zu suchen. Am 22. Mai 1939 wurde in Berlin ein Bündnisvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Italien, den sogenannten Stahlpakt geschlossen, der eine militärische Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung im Fall eines Krieges vorsah.
Südtirol - die Option
Trotz der Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten zog es Hitler vor, das deutsche Mutterland durch eine entgegenkommende Bündnispolitik
mit Mussolini zu stärken, statt zu versuchen, Südtirol wiederzugewinnen. So wurde am 22. Mai auch das
Abkommen zur Umsiedlung der Südtiroler geschlossen, das vorsah, dass die Südtiroler bis zum 31. Dezember 1939 entweder für die deutsche Staatsbürgerschaft optieren konnten (mit der Verpflichtung, nach Deutschland auszuwandern), oder für die Beibehaltung der italienischen Staatsbürgerschaft. In letzterem Fall hätten sie aber keinen Schutz für ihr Volkstum mehr in Anspruch nehmen können.
Insgesamt optierten 203.500
Südtiroler für Deutschland. Davon wanderten aber nur 75.000 ins Deutsche Reich aus, weil die Durchführung
der Umsiedlung durch den Krieg und vor allem durch die Verzögerungstaktiken der deutschen Ämter erheblich erschwert wurde.
Andere Volksgruppen
Die von Mussolini
betriebene Italienisierung betraf auch die deutschen
Sprachinseln der Zimbern im Trentino (Lusern, Fersental),
in Venetien (Sappada, Dreizehn Gemeinden) und in Friaul
(Sauris, Timau), sowie die Slowenen Istriens, das bis 1918 Bestandteil
Österreichs war, und Teile der kroatischen historischen
Region Dalmatien, auch bis 1918 Bestandteil Österreichs
Sprachverteilung vor dem Zweiten Weltkrieg
Sprache
1880
1890
1900
1910
1921
Deutsch
90,6 %
89,0 %
88,8 %
89,0 %
75,9 %
Italienisch
3,4 %
4,5 %
4,0 %
2,9 %
10,6 %
Ladinisch
4,3 %
4,3 %
4,0 %
3,8 %
3,9 %
Andere
1,7 %
2,3 %
3,2 %
4,3 %
9,6 %
Nachkriegszeit und kein Ende
1948 konnten jene Südtiroler, die für Deutschland optiert
hatten, wieder die italienische Staatsbürgerschaft bekommen,
wovon 90% Gebrauch machten.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Südtirol
in einem schwierigen und langwierigen Prozess zu einer autonomen Provinz innerhalb Italiens.
Alle Ortsnamen sind inzwischen zweisprachig ausgezeichnet, wobei
aber nach wie vor nur die italienischen amtlich sind und die deutschen
nur geduldet werden.
Alle offiziellen Dokumente müssen ebenfalls
zweisprachig ausgestellt werden.
Die deutsche Sprachgruppe wächst seit den 1960er Jahren
wieder kontinuierlich. Bei der letzten Volkszählung im Jahr
2011 gaben wieder 69,4 % der Einwohner Südtirols Deutsch
als Muttersprache an.
Sprachverteilung nach dem Zweiten Weltkrieg
Sprache
1961
1971
1981
Deutsch
62,2 %
62,9 %
64,9 %
Italienisch
34,3 %
33,3 %
28,7 %
Ladinisch
3,4 %
3,7 %
4,1 %
Andere
0,1 %
0,1 %
2,2 %
(nach Sprachgruppenzuordungserklärungen)
Sprache
1991
2001
2011
Deutsch
67,99 %
69,4 %
69,41 %
Italienisch
27,65 %
26,47 %
26,06 %
Ladinisch
4,36 %
4,37%
4,53%
Andere
4,0 %
7,5 %
(nach Sprachgruppenzuordungserklärungen)
Südtirol: ein Erfolgsmodell
Südtirol hat es verstanden, die Autonomie zu nützen, um sich zu einer der wohlhabendsten, modernsten und wirtschaftlich florierendsten Regionen nicht nur Italiens, sondern auch Europas zu entwickeln. Inzwischen gilt die Region als Modellbeispiel für die Autonomie von ethnischen Minderheiten und zeigt, wie auch bei einer sehr konfliktreichen Vergangenheit ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen möglich ist.
Der wirtschaftliche Erfolg ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass Südtirol ein sehr beliebtes Urlaubsziel von Gästen aus den Nachbarländern ist. Die Region bietet vielfältige kulturelle und sportliche Aktivitäten, eine große kulinarische Vielfalt und ein mediterranes Klima. Nicht zuletzt spielt auch der deutschsprachige Hintergrund eine wichtige Rolle. Südtirol kann eine touristische Infrastruktur aufweisen, die ihresgleichen sucht. Man findet hier gut markierte Wanderwege, Berghütten, Campingplätze und Schwimmbäder, Bergbahnen und (im Winter) ein gut ausgebautes Skipistennetz.
Schilderstreit / Ortsnamenstreit
Seit 2009 schwelt der Streit um die Wanderschilder. 1526 einsprachige Tafeln wurden von den Carabinieri auf Anordnung der Staatsanwaltschaft gezählt.
Juli 2010: Rein deutsche Beschilderungen auf Wanderwegen in Südtirol waren den den Behörden in Rom längst ein Dorn im Auge. Insbesondere regte sich Regionsminister Raffaele Fitto auf und forderte den Landeshauptmann Südtirols, Luis Durnwalder, auf, 36.000 einsprachige Schilder binnen 60 Tagen zu entfernen. Das sei ihm „wurscht“, kommentierte zunächst Durnwalder die Ansage aus Rom. Außerdem lehnte es Bozen ab, die während des Faschismus auf Anordnung erfundenen Flurnamen anzuerkennen, weswegen nur die gesetzlich angegebenen Gemeindenamen sowie begleitende Begriffe wie „Alm“ oder „See“ in italienischer Sprache angegeben werden sollten.
Fitto verlangte aber gerade das, nämlich dass nicht nur Begriffe wie „Hütte“ und „Bach“ zu übersetzen sein, sondern auch alle Flurnamen - insgesamt 300.000. Sollte jetzt weitergeführt werden, was Ettore Tolomei begonnen hatte? Durnwalder hielt es für Unsinn, auch historische Namen zu übersetzen.
September 2012: Der Südtiroler Landtag verabschiedet das Toponomastik-Gesetz
(Ortsnamengesetz). Dieses sieht ein Verzeichnis der Ortsnamen vor, das alle vor Ort gebräuchlichen Ortsbenennungen umfasst, sowie die antiken oder nicht mehr verwendeten Namen. Jeder Ortsname wird in der deutschen, italienischen, und ladinischen Fassung eingetragen, sofern er in diesen auf Bezirksebene gebräuchlich ist.
Straßen und Plätze sollen in zwei bzw. drei Sprachen benannt werden, außer bei Eigennamen und Ortsnamen, für die es keine andere Schreibweise gibt.
Die Regierung Monti hat gegen das Gesetz Rekurs eingelegt.
August 2013: Einigung zwischen dem Landeshauptmann Südtirols Luis Durnwalder und dem italienischen Regionenminister Graziano Delrio (Regierung Letta) über die Ortsnamen. Demnach sollen
135 Flurnamen auf Wegschildern einsprachig bleiben. Insgesamt 750 Bezeichnungen werden zweisprachig. In Fällen, in denen die italienische Bezeichnung jedoch weite Verbreitung findet, soll die Beschilderung zweisprachig erfolgen. Rom verzichtet darauf, dass Almen oder Bergspitzen, die einen Gemeindenamen in sich tragen, übersetzt werden müssen.
31 August 2013: Die Unterstaatssekretärin Michaela Biancofiore (Pdl) kündigte an, selbst dafür zu sorgen, dass die 1.526 deutschsprachigen Wegschilder auf Südtirols Wanderwegen mit zweisprachigen ausgetauscht werden - auf eigene Kosten!