Die Italienische Regentschaft am Quarnaro und der Freistaat Fiume |
Gabriele D'Annunzio (1863 - 1938) war ein italienischer Schriftsteller, Dichter, Journalist, Soldat und Politiker. |
Er war ein leidenschaftlicher italienischer Nationalist und befürwortete
den Eintritt seines Landes in den Ersten Weltkrieg, in dem er sich auch persönlich als „Comandante“ an Kampfhandlungen beteiligte. Aufsehenerregend war sein Flug über Wien, bei dem er Flugblätter über der Stadt abwarf. D'Annunzio starb
am 1. März 1938 in seiner Villa „Il Vittoriale“
in Gardone am Gardasee, die heute als Museum zu besuchen ist. |
Fiume, das ist der italienische Name der kroatischen Stadt Rijeka an der Kvarner-Bucht an der Adria. „Fiume“ bedeutet auf Italienisch „Fluss“ (wie auch „rijeka“ diese Bedeutung auf Kroatisch hat). Von 1779 bis 1919 war die Stadt der Habsburger Krone unterstellt. Von 1919 bis 1920 stand sie unter der so genannten „Regentschaft am Quarnaro“ und bis 1924 war sie als Freistaat Fiume unabhängig. Von 1924 bis 1947 gehörte Fiume dem Königreich Italien an, um dann bis 1992 Teil Jugoslawiens zu werden. Seitdem ist die Stadt Bestandteil von Kroatien. |
Fiume galt vor dem Ersten Weltkrieg für die Italiener als „terra irredenta“ („unerlöstes Land“), womit jene Gebiete gemeint waren, die, weil von italienischen Volksangehörigen bewohnt, den Anschluss ans italienische Mutterland wünschten. Nach der 1861 vollzogenen Einigung Italiens zielte das Königreich Italien darauf ab, alle Gebiete, die ganz oder teilweise von einer italienischsprachigen Bevölkerung bewohnt waren, in den neuen italienischen Staat einzugliedern. Dazu gehörten insbesondere das Trentino, Dalmatien und Istrien. Während es in Istrien und Dalmatien an der Küste und in den Städten eine italienischsprachige Mehrheit gab, waren diese Gebiete vor allem auf dem Land mehrheitlich von Kroaten besiedelt. |
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Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden die meisten der beanspruchten Gebiete Italien zugesprochen, da das Königreich 1915 auf der Seite der Entente in den Krieg eingetreten war. Eine Reihe von weiteren Forderungen Italiens wurden dagegen nicht erfüllt. Beispielsweise war ein Anschluss Fiumes trotz der italienischsprachigen Mehrheit der Stadt (60%) nicht vorgesehen. 24% der Bevölkerung Fiumes war kroatisch, 5% slowenisch, mit kleineren deutsch- und ungarischsprachigen Minderheiten. Man sprach damals in Italien von „vittoria mutilata“ (verstümmeltem Frieden). |
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Der Dichter als Kommandant: D'Annunzio erobert Fiume |
Nordkroatien - Zagreb
und Kvarner Bucht |
Gabriele d'Annunzio |
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Während die Zukunft der Stadt bei der Pariser Friedenskonferenz 1919 diskutiert wurde, war es nach dem Abzug der Österreicher in Fiume zunächst zu zwei gegnerischen Stadtverwaltungen gekommen (italienisch und kroatisch), weil sowohl Italien als auch das entstehende Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen die Staatshoheit beanspruchten. |
Zwei Tage nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Saint Germain (10. September 1919), in dem zwar Triest, Istrien, Zadar und Teile der Küstengebiete Italien zugewiesen worden waren, Dalmatien und Fiume aber dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, besetzte eine Truppe von 2600 italienischen „Arditi“ („Kühnen“, eine nach dem Krieg demobilisierte Elitetruppe) unter der eigenmächtigen Führung von Gabriele d'Annunzio gegen den Willen der italienischen Regierung die Stadt. |
Die Truppen der Entente intervenierten nicht. D'Annunzio wollte damit vollendete Tatsachen schaffen, bevor die Stadt dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zugesprochen wurde. |
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D'Annunzio hält eine Rede vor seinen „arditi" |
Die italienische Regierung machte d'Annunzio aber einen Strich durch die Rechnung, denn sie beabsichtigte nicht, Fiume zu annektieren, stattdessen verhängte sie eine Blockade über die Stadt. Als sich auch nach einem Jahr keine Wende abzeichnete, rief d'Annunzio am 8. September 1920 die Italienische Regentschaft am Quarnaro (Reggenza Italiana del Carnaro) aus und übernahm selbst das Kommando in der Stadt. Die Regentschaft sollte sechzehn Monate lang anhalten. Der Name leitet sich ab vom Golf von Quarnaro, an dem die Stadt liegt. Die Regentschaft blieb aber ohne internationale Anerkennung. |
Zusammen mit dem Anarchisten Alceste de Ambris gab d'Annunzio der Repubblica del Carnaro eine Verfassung, die "Carta del Carnaro", die zwar viele Details des späteren faschistischen Systems beinhaltete, aber auch sehr fortschrittliche Inhalte hatte, wie die vollständige Gleichberechtigung von Mann und Frau, aktives und passives Wahlrecht für die Letzteren und eine strikte Trennung von Staat und Kirche. Sie sah auch die rechtliche Anerkennung von Gewerkschaften und die Pressefreiheit vor. Wegen der Ereignisse im Herbst und Winter 1920 in Fiume wurde die Verfassung aber nicht mehr umgesetzt. Mussolini würde später die Carta als zu liberal als Ganzes ablehnen. |
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Die Handschrift des Schriftstellers d´Annunzio war besonders deutlich im Bereich der Kultur zu erkennen. Täglich trug d'Annunzio Gedichte und Manifeste von seinem Balkon aus vor, abends wurde mit Tänzen, Konzerten und Feuerwerken gefeiert. Fiume war zu dieser Zeit zu einer Art Festival der Avantgarde geworden. |
Am 12. November 1920 einigten sich das Königreich Italien und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (das später in Königreich Jugoslawien umbenannt werden sollte) im Grenzvertrag von Rapallo über Grenzfragen. Darin war unter anderem vorgesehen, dass Fiume mit ihrem Hinterland zum unabhängigen Freistaat Fiume werden sollte. |
Davon überzeugt, dass Rom niemals die Stadt angreifen würde, ignorierte d'Annunzio den Vertrag von Rapallo und weigerte sich, Fiume zu verlassen. Nach dem Beschuss seines Palastes durch das italienische Kriegsschiff Andrea Doria und den Kämpfen, die vom 24. bis zum 30. Dezember 1920 andauerten und fünfzig seiner Männer das Leben kosteten, ergab sich der „Kommandant" schließlich am 31. Dezember und übergab die Stadt den italienischen Truppen. Die Kämpfe gingen unter dem Namen „Natale di sangue“ (blutige Weihnacht) in die Geschichte ein. |
Der Freistaat Fiume hielt sich bis zum 27. Januar 1924, als mit dem Vertrag von Rom Italien und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen sich auf Grenzänderungen einigten: Fiume wurde dabei durch Italien annektiert. Als Gegenleistung erhielt der serbisch-kroatisch-slowenische Staat Sušak, einen Teil der Hafenstadt Rijeka. Der Hafen wurde von da an von beiden Ländern gemeinsam verwaltet. |
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