Die Einnahme Roms (la presa di Roma) |
Ich muss es zu meiner Schande
zugeben: Ich wusste bis vor kurzem nicht (oder nicht
mehr), weshalb in Italien so viele Straßen Via XX.
Settembre heißen. In Genua, der Stadt, in der ich
aufgewachsen bin, ist die Via XX. Settembre sogar das
„Flanierboulevard" schlechthin. |
Der 20. September 1870 war
der Tag, an dem Rom von Truppen des neugegündeten italienischen
Staats eingenommen wurde und der Kirchenstaat
aufhörte, zu existieren. |
|
Nach dem Wiener Kongress (1814-15) wurde die Landkarte Italiens neu gezeichnet.
Die spanischen Bourbonen bekamen die Vorherrschaft
über Neapel-Sizilien, die österreichischen Habsburger
jene über die meisten mittel- und oberitalienischen Fürstentümer,
darunter das als Königreich proklamierte Lombardo-Veneto,
das Großherzogtum Toskana, sowie die Herzogtümer Parma und Modena. In der Folge des Kongresses setzte
vor allem in Norditalien die vom österreichischen
Staatskanzler Fürst von Metternich dominierte Restauration
ein, die wichtige Reformen der napoleonischen Ära wieder
rückgängig machte. Die Wiedereinsetzung
der Habsburger war in Italien auf nationalen Widerstand
gestoßen. |
|
|
|
Dia Macht der Päpste |
Geschichte der
katholischen Kirche |
|
|
Auch die Herrschaft der Bourbonen im Süden
wurde abgelehnt, ebenso die Herrschaft des Papstes über
den „Kirchenstaat“, der zwar 1809 durch Napoleon aufgelöst,
1815 vom Wiener Kongreß aber wiederhergestellt worden
war. Der „Risorgimento“, die bürgerlich-liberale
und nationalstaatliche italienische Einigungsbewegung,
hatte bereits seit den 1830er Jahren die Forderung nach der
weltlichen Herrschaft über Rom vertreten. Rom wurde
von den italienischen Nationalisten als die natürliche
Hauptstadt Italiens betrachtet. |
Ein Teil des damals souveränen
Kirchenstaates, die Romagna, die Marken und Umbrien war nach verschiedenen revolutionären
Erhebungen und kriegerischen Konflikten bereits
1860 an das Königreich Sardinien-Piemont gefallen, das
seit den europäischen Revolutionen von 1848/49 unter König Carlo Alberto und dessen Nachfolger Vittorio Emanuele
II. zum Vorreiterstaat der italienischen Einheitsbewegung geworden war. Alleine der König von Sardinien- Piemont (das
einzige italienische Fürstenhaus) wurde als italienische
Dynastie akzeptiert. Nach den Erfolgen der piemontesischen
Truppen und republikanischen Freischärlereinheiten
(z.B. unter Giuseppe Garibaldi) wurde 1861 der neue italienische
Nationalstaat als konstitutionelle Monarchie unter Vittorio
Emanuele II. und seinem ersten Ministerpräsidenten Camillo Benso di Cavour ausgerufen. |
Seine Hauptstadt
wurde zunächst von Turin nach Florenz verlegt. Diese Tatsacghe
ist wenig bekannt: Florenz war von 1865 bis 1870 italienische
Hauptstadt. Im Oktober 1867 versuchte Garibaldi mit einigen
Freischaren, Rom einzunehmen. Seine
Einheiten wurden jedoch am 3. November 1867 von päpstlichen
und französischen Truppen, die die Schutzmacht des Kirchenstaates
bildeten, besiegt. |
|
Aber der Restkirchenstaat (Latium mit seiner Hauptstadt Rom) unter dem Pontifikat des von 1846 bis 1878
amtierenden Papstes Pius IX. (mit 31 Jahren und 8 Monaten
hatte Pius IX. das längste Pontifikat in der Geschichte
der Römisch-Katholischen Kirche inne) blieb weiterhin ein Konfliktherd.
Der Ausbruch des Krieges zwischen Frankreich und Preußen
am 19. Juli 1870 kam Italien in der Frage des Kirchenstaates
gelegen. Als Frankreich wegen dieses Krieges seine Schutztruppen
aus Rom abzog, machten sich italienische Truppen auf,
den Kirchenstaat zu erobern. Im September 1870 befehligte
General Raffaele Cadorna das IV. Armeekorps und nahm
am 16. September 1870 Civitavecchia und nach kurzer Beschießung
(Porta-Pia-Bresche und anschließender Durchbruch der
Bersaglieri) am 20. September auch Rom ein,
ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen.
|
Im Gefolge dieses Ereignisses
gliederte Vittorio Emanuele II den letzten Rest des Kirchenstaates
dem italienischen Königreich an. Eine Volksabstimmung ergab
eine breite Zustimmung für diese Vereinigung,
die am 6. Oktober 1870 durch königliches Dekret proklamiert
wurde. Damit war die Einigung Italiens und mit ihr das Ziel
des Risorgimento vollendet. 1871 wurde die
italienische Hauptstadt von Florenz nach Rom verlegt. Auch die
meisten ausländischen Staaten verlegten ihre Gesandtschaften
nach Rom, womit sie stillschweigend das Ende der weltlichen
Herrschaft des Papsttums anerkannten. |
Pius IX. dekarierte sich als „politischer Gefangener“, zog sich in den Vatikanpalast
zurück und lehnte alle Ausgleichsangebote des Staates ab.
Damit endete, nach 1143 Jahren, die weltliche Macht der Kirche.
Sein Nachfolger, Leo XIII. (Papst von 1878-1903), wurde der
erste Papst, der keine direkte politische Macht mehr hatte.
|
In den sogenannten Garantiegesetzen vom Mai 1871
wurde die Stellung des Papstes in der italienischen Hauptstadt
geregelt, wenn auch zunächst nur einseitig von der italienischen
Regierung. Demnach verblieb der Vatikan, das Lateran und die päpstliche Sommerresidenz in Castel Gandolfo unter der Hoheit des Papstes, der in diesen Bereichen
bis in die Gegenwart als staatlicher Souverän gilt. |
Pius IX. und seine unmittelbaren Nachfolger Leo XIII. und
Pius X. erkannten jedoch sowohl die gesetzlichen Regelungen
für den Vatikan als auch das neue Italien nicht an und
lehnten jede offizielle diplomatische Zusammenarbeit
mit den neuen Machthabern ab, so dass der Streit um den Status
der katholischen Kirche und die zunächst nicht formell
geregelte eigenstaatliche Unabhängigkeit des
Vatikans auch nach der Vollendung der italienischen Einheit
ein noch lange schwelender Konflikt im neuen Italien blieb,
die sogenannte Römische Frage. Pius IX. belegte die Urheber und Teilnehmer an der Einnahme
des Kirchenstaates mit dem Bann. In der päpstlichen
Bulle „non expedit“ vom 10. September 1874
verbot er italienischen Katholiken unter Androhung des Entzugs
kirchlicher Priviligien sowohl die aktive als auch passive
Teilnahme an demokratischen Wahlen in Italien.
|
|