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Der Italienisch-Türkische Krieg | ||||||
Vor mehreren Jahren verbrachte ich einen Urlaub auf der kleinen griechischen Insel Symi. Wie verwundert war ich, als unsere Gastgeberin einigermaßen gut italienisch sprechen konnte und mir eröffnete, dass die Insel, sowie der gesamte Dodekanes bis 1943 unter italienischer Verwaltung gestanden war. Nach dem Italienisch-Türkischen Krieg hatten die Inseln zunächst den autonomen griechischen Staat der Ägäis gebildet und wurden im Rahmen des Vertrages von Lausanne 1923 von der Türkei an Italien abgetreten. Sie hießen bis 1943 „Italienische Ägäis-Inseln“. | ||||||
Der Italienisch-Türkische Krieg (in Italien meistens „Libyscher Krieg“ oder „Libyen-Feldzug“ genannt) war ein militärischer Konflikt zwischen dem Königreich Italien und dem Osmanischen Reich, der um den Besitz der nordafrikanischen Regionen Tripolitanien und Cyrenaika ausgefochten wurde. Der Krieg dauerte vom 29. September 1911 bis zum 18. Oktober 1912 (Frieden von Ouchy). Nach dem Krieg trat das Osmanische Reich Tripolitanien und die Cyrenaika an Italien ab. Zusammen mit dem von Italien 1930 eroberten Fessan würden diese Regionen die italienische Kolonie Libyen bilden. | ||||||
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In diesem Krieg besetzte das Königreich Italien auch die Inseln des Dodekanes. Diese blieben bis 1923 unter provisorischer italienischer Verwaltung, bis sie von der Türkei offiziell an Italien abgetreten wurden. | ||||||
Am Anfang des 20. Jahrhunderts war das Königreich Italien ein Land mit großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen, die dazu geführt hatten, dass allein zwischen 1901 und 1911 mehr als eineinhalb Millionen Italiener nach Nord- und Südamerika ausgewandert waren. In nationalistischen Kreisen setzte sich deshalb die Vorstellung durch, dass eine koloniale Expansion die sozialen Probleme des Landes hätte mildern können. Die zum Osmanischen Reich gehörenden Provinzen Tripolitanien und Cyrenaika schienen (fälschlicherweise) dazu wie geschaffen.
Das Osmanische Reich hatte längst seinen Zenith überschritten und wurde als sehr schwach eingeschätzt. So schien es der italienischen Regierung unter Premierminister Giovanni Giolitti unwahrscheinlich, dass das Reich in der Lage sein würde, einen erwähnenswerten Widerstand zu leisten. So stellte Giolitti – trotz einer sehr großen inneritalienischen Opposition – am 26. September 1911 der Hohen Pforte ein 24-stündiges Ultimatum, welches die sofortige Abtretung Tripolitaniens und der Cyrenaika verlangte. Sultan Mehmed V. war seiner Schwächeposition bewusst und zunächst entgegenkommend, indem er der Besetzung zustimmte, aber das Aufrechterhalten der formellen Oberhoheit der Hohen Pforte verlangte. Die Antwort des Sultans ging etwa zwei Stunden nach dem Ablauf des Ultimatums bei der italienischen Regierung ein, als die Kriegsoperationen bereits begonnen hatten. Am 29. September erklärte die italienische Regierung offiziell den Krieg. |
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Im Libyen-Feldzug spielten zum ersten Mal die Militärtechnik und deren Errungenschaften eine große Rolle. Unter anderem wurden zum ersten Mal in der Kriegsgeschichte Flugzeuge eingesetzt, die der Aufklärung dienten aber auch die ersten Luftangriffe flogen. Ebenso bedeutend war der Einsatz der Funktelegrafie. Nicht zuletzt wurden zum ersten Mal Kraftfahrzeuge zu Kriegszwecken eingesetzt: Ein Teil der italienischen Truppen verfügte über SIAMT-Motorräder und Fiat-Typ-2-Automobile. | ||||||
Landkarte erstellt von Memnon335bc (Lizenz) | ||||||
Um die osmanische Regierung daran zu hindern, Verstärkungen über das Mittelmeer nach Nordafrika zu bringen, versenkte die italienische Marine als erste Kriegshandlung am 29. und 30. September vor der albanischen Küste drei osmanische Torpedoboote, womit die italienischen Schiffe fast ungehinderten Zugang zum östlichen Mittelmeer erlangten. | ||||||
Der Krieg in Nordafrika begann mit dem Beschuss von Tripolis am 3. Oktober. Danach wandten sich die Italiener mit einem Expeditionsheer von 20.000 Mann gegen Tripolitanien. Am 4. Oktober landeten italienische Truppen unter General Carlo Caneva und nahmen die Stadt ein. Am selben Tag fiel auch die Stadt Tobruk. Bis zum 14. Oktober wurden dann alle anderen wichtigen Küstenorte Tripolitaniens und der Cyrenaika eingenommen.
Anders als erwartet sah die lokale Bevölkerung in den Italienern keine Befreier sondern feindliche Invasoren. Denn unter der osmanischen Herrschaft war das Land relativ selbständig geblieben. Der erste Rückschlag für die italienischen Truppen kam am 23. Oktober, als die Truppen in der Nähe der Oase Sciara Sciat fast völlig von der arabischen Kavallerie und den regulären türkischen Truppen eingekreist wurden. Der Angriff vernichtete zwei Bersaglieri-Kompanien des italienischen Expeditionskorps. Nach der Schlacht übten die italienischen Truppen gegen die arabische Bevölkerung Vergeltung aus und erschossen innerhalb von fünf Tagen Tausende Araber, verbrannten deren Häuser und beschlagnahmten ihr Vieh. Über 4.000 Araber wurden deportiert.
Die italienische Regierung hatte es dem eigenen Volk als militärischen Spaziergang verkauft. Doch die vermeintlich sehnsüchtig auf Befreiung von türkischer Herrschaft wartenden Araber und Berber wehrten sich. Der Italienisch-Türkische Krieg war geprägt von Massakern, Erhängungorgien und Deportation von Zivilisten. |
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Daraufhin wurde der italienische Expeditionskorps auf 100.000 Soldaten verstärkt, die 20.000 Arabern und 8.000 Türken gegenüberstanden. | ||||||
Bilder aus dem Libyen-Krieg |
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Trotz der Erhöhung der Truppenstärke kamen die italienischen Vorstöße in den folgenden Monaten nicht über die Küstengebiete hinaus. Der Krieg entwickelte sich zu einem Stellungskrieg. | ||||||
Weil das Königreich Italien in den nordafrikanischen Provinzen, die es am 5. November 1911 formell annektiert hatte, nicht voran kam, wurde mit Hilfe der Flotte versucht, das Osmanische Reich zum Friedensschluss zu zwingen. Das Osmanische Reich war hier in einer Position der Schwäche, da seine Kriegsmarine es mit der Königlichen Marine Italiens unter dem Kommando des Konteradmirals Thaon di Revel nicht aufnehmen konnte und deshalb den Nachschub für die türkischen Truppen in Libyen nur schwer gewährleisten konnte. Die italienischen Verbände vernichteten im Januar 1912 im Roten Meer sieben veraltete gegnerische Kanonenboote und versenkten am 24. Februar vor Beirut einige Barkassen, ein Küstenpanzerschiff und ein Torpedoboot. | ||||||
Doch auch danach weigerte sich die osmanische Regierung, die italienischen Forderungen zu akzeptieren. So beschloss die italienische Marineführung, auch die osmanischen Besitztümer im Ägäischen Meer anzugreifen. Im April 1912 wurden türkische Forts an der Südeinfahrt in die Dardanellen beschossen und kurz darauf besetzten die Italiener Rhodos und den Dodekanes. | ||||||
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Wegen der außerordentlich hohen Zahl von Opfern bezeichnete Lenin den Krieg als „ein vervollkommtes, zivilisiertes Massaker, ein Abschlachten der Araber mit neuzeitlichsten Waffen“ und nannte eine Zahl von 14.800 getöteten Arabern. | ||||||
Der italienisch-türkische Krieg war ungleich grausamer als alle vergleichbaren Kolonialkriege davor. | ||||||
In Italien hatten sich auch zahlreiche Stimme gegen den Krieg erhoben. Die Gewerkschaften hatten vergeblich versucht, einen Generalstreik durchzusetzen. Der Journalist und Aktivist Alceste De Ambris definierte die Invasion "einen Brigantentum-Krieg". | ||||||
Im Frühjahr 1912 gelang es Serbien, Bulgarien, Montenegro und Griechenland, unter russischer Patronage ein Militärbündnis zu schließen, den Balkanbund, dessen Ziel es war, das Osmanische Reich vom Balkan zu verdrängen. Im Oktober des selben Jahres griffen sie im sogenannten Ersten Balkankrieg das Osmanische Reich an. | ||||||
Dieser Krieg war für die osmanische Regierung wesentliche bedrohlicher als der italienische Kolonialismus in einem entfernten Teil des Reiches. So gab die Hohe Pforte vor den Italienern auf und willigte im Herbst in Friedensverhandlungen ein. Mit dem am 18. Oktober 1912 abgeschlossenen Frieden von Ouchy wurde das Osmanische Reich gezwungen, Tripolitanien und die Cyrenaika an Italien abzutreten. Der Dodekanes wurde weiterhin von Italien verwaltet. | ||||||
Nach dem Abschluss des Friedensvertrages versuchte die italienische Armee ihre neuen Kolonien Italienisch-Libyen und Italienisch-Dodekanes zu befrieden. Aber die arabische Bevölkerung fand sich mit der italienischen Besatzung nicht ab. Vom Osmanischen Reich unterstützte Guerilla-Operationen machten den Italienern in Nordafrika das Leben schwer. Mehr als ein Drittel des heutigen libyschen Staatsgebiets konnten die Italiener bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieg nie unter ihre Kontrolle bringen. | ||||||
Als der Krieg Italien dazu zwang seine Präsenz in Nordafrika zu reduzieren, gerieten die italienischen Streitkräfte stark in die Defensive. Im Sommer 1915 waren nur noch Tripolis und Homs in italienischer Hand. In den 1920er Jahren setzten die Italiener, nun unter der Herrschaft der Faschisten, die Eroberung Libyens mit brutalen Methoden fort. | ||||||
Libyen sollte erst im Jahr 1943 von den britischen Truppen von Italiens Herrschaft befreit werden. | ||||||