In einer Bucht an der Nordküste Siziliens
liegt die wunderschöne Stadt Palermo, die Hauptstadt
Siziliens. Die Ebene zwischen den Bergen, wo die Stadt liegt,
wird Conca d'oro (Goldener Becken) genannt,
vermutlich wegen der Orangenhaine, die Palermo zur Zeit
der arabischen Herrschaft umgaben.
Kaum zu glauben – zumindest wen man das Foto ansieht –, dass dieses Mädchen bereits vor fast
100 Jahren gestorben
ist. Das hübsche pausbäckige Gesicht wird von
niedlichen, durch eine Schleife zusammengehaltenen
Locken eingerahmt. Ihr Name ist Rosalia Lombardo und
ihr Antlitz ist seit dem Jahr 1920 unverändert geblieben.
Das Mädchen, das aussieht, als würde es schlafen,
starb 1920 an der Spanischen Grippe und gilt als die Schönste
Mumie der Welt. Ihre Mumie befindet sich im Gruftgewölbe
des Kapuzinerklosters in Palermo,
den Catacombe dei Cappuccini. Als Rosalia im Alter
von zwei Jahren starb, wollte sich ihr Vater, General
Mario Lombardo nicht damit abfinden, das Kind niemals
wiedersehen zu können. Deshalb beauftragte
er den Chemiker Alfredo Salafia, den Körper seiner
verstorbenen Tochter vor dem Verfall zu bewahren.
Palermo sehen und sterben
Sizilien:
Ein Wanderführer von Peter Amann
Salafia schaffte es nicht nur,
Rosalia vor dem Verfall zu retten, sondern
auch, Palermos Kapuzinermönche zu überreden, sie in
ihre Gruft unterzubringen. Was nicht leicht gewesen
sein muss, denn die Bestattungen in der Kapuzinergruft
von Palermo wurden offiziell 1881 eingestellt; die Nachbestattung
des kleinen Mädchens war einer der wenigen Ausnahmefällen.
Lange wurde über die Einbalsamierungsmethode
Salafias gerätselt. Man vermutete, dass der Chemiker
ein Nitrat-/Nitrit-Gemisch in die Venen des toten Kindes injizierte
und die Hohlräume mit Wachs auffüllte, um die rundlichen
Formen des Gesichts zu erhalten. Erst das Auffinden eines Manusripts
in Salafias Nachlass (Nuovo metodo speciale per la conservazione
del cadavere umano intero allo stato permanentemente fresco
/ Neue Methode zur dauerhaften Konservierung einer menschlicher
Leiche) im März 2009 verrat seine Methode. Er benutzte
Formalin, um die Bakterien zu töten, eine Alkohollösung,
um den Körper zu trocknen, Glyzerin, um die Austrocknung
zu begrenzen, Salicylsäure, um die Pilze zu töten,
sowie Zinksulfat und Chloriden, um ihrem Körper Stabilität
zu verleihen.
Die Kapuzinergruft von Palermo
ist eine weitläufige Gruftanlage unter dem Kapuzinerkloster,
die mit ihren natürlichen Mumien eine der bekanntesten
Mumiengrabanlagen der Welt ist. Die makabre Ansicht der zahlreichen
ausgestellten Leichen ließ die Gruft zur Touristenattraktion
werden, und regt damit Tausende Besucher zum Nachdenken über
die Vergänglichkeit des Lebens an.
Es war 1534, als die Fratres des
Kapuzinerordens, eines kurz zuvor gegründeten
Zweigs des Franziskanerordens, ihr erstes Kloster auf sizilianischem
Boden bauten, direkt vor den Toren der Stadt Palermo.
Als die Mönche 1599 beschlossen,
unterhalb des Hochaltars ein größeres Grabgewölbe
auszuheben, weil der alte Raum für die wachsende Zahl
der Mönche nicht mehr ausreichte, und hinunterstiegen,
um die Leichname in die neue zu überführen, entdeckten
sie mit Erstaunen, dass die Toten sich nicht wie erwartet
in Skelette verwandelt hatten, sondern in
Trockenmumien. Der Abt veranlasste daraufhin, die Toten entlang
der Wände aufzustellen, als „Memento mori“
- quasi - für die Mönche. Der älteste noch
erhaltene Leichnam ist der von Fra Silvestro da Gubbio,
gestorben im Jahr 1599.
Bis 1670 diente die neue Kapuzinergruft
nur den Mönchen als Grabstätte. Weil aber die „Nachfrage"
nach Bestattungen in der Gruft stieg, konnten sich die Patres
auf Dauer diesen Wünschen nicht sperren, besonders weil
sich unter den Bewerbern viele Wohltäter des Klosters
befanden. Hätte der Staat nicht 1881 den Brauch verboten,
würden sich auch heute noch zahlreiche Mitglieder
der palermitanischen Oberschicht hier bestatten
lassen. Männer, Frauen und Kinder, die von ihren
Angehörigen immer wieder neu bekleidet wurden, sitzen,
liegen oder hängen in langen Reihen in der Gruft. Die
Toten wurden strikt nach Stand und Geschlecht getrennt.
Es gibt einen Gang für Männer, einen für Frauen,
mit einem Abschnitt für die Jungfrauen, einen für
Priester, mit mächtigen Bischöfen und
Kardinälen, einen für die Kapuzinermönche
und einen für verschiedene Berufe. Es gibt einen Bereich
für Kinder, einen für Offiziere in hoher Uniform,
junge Frauen im Hochzeitskleid oder in Schwarz gekleidete
Witwen. Wo immer man sich in der Gruft befindet, fühlt
man sich von ihren Fratzen angestarrt oder angegrinst.
Der Wunsch der „besseren" Gesellschaft
von Palermo nach einem Begräbnis neben den Mönchen
war eine Prestigesache und dauerte mehr als zwei Jahrhunderte
gleich bleibend an. Erst im Jahr 1837 verbot die Regierung
diese Art der Bestattung. Allerdings mussten die
mumifizierten Leichen in Särgen aufbewahrt werden.
1881 war dann ganz Schluss.
Die Einbalsamierungsprozedur bestand
darin, dass man die Leiche für ein Jahr „austrocknen"
ließ, nachdem man ihr die inneren Organe entnommen hatte.
Dann wurde der mehr oder weniger ausgetrocknete Körper
mit Essig gewaschen, mit Stroh gefüllt und wieder
angezogen.
In der Kapuzinergruft von Palermo
haben (laut Reiseführer) im Laufe der Jahrhunderte
insgesamt 8000 Sizilianer ihre letzte Ruhestätte
gefunden. Heute gibt es nur noch etwa 1200 mumifizierte Leichen,
die in den unterirdischen Gängen besichtigt
werden können. Obwohl die meisten Mumien in einem schlechten
Erhaltungszustand sind, sind noch immer viele Hunderte von ihnen
unbeschädigt.