Landschaften/ Orte

Apricale

Touristen, die an Ligurien denken, stellen sich meistens nur einen schmalen Küstenstreifen mit vielen Badeorten vor, der sich von Ven­timiglia im Westen bis La Spezia im Osten erstreckt. Kaum bekannt aber nicht weniger attraktiv ist hingegen das äußerst schwach besiedelte Hinterland dieser italienischen Region, das zahlreiche unberührte, wilde Landschaften mit malerischen Dör­fern zu bieten hat.
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Parkplatz und Unterkünfte sind – wegen der engen Gassen des Ortes – meist entfernt voneinander. Das macht den Ge­päck­trans­port nicht gerade leicht.

Winzig ist dieser ligu­ri­sche Ort, der aus der Ferne wie ein Wasserfall aus Steinen aus­sieht, schon: Apricale hat weniger als 600 Ein­wohner und liegt etwa 13 km nördlich von Venti­mi­glia (Provinz Imperia) im Merdanzo Tal, einem Ne­bental des Nervia-Flus­ses. Blickt man auf den Ort in Richtung Norden, kann man im Hintergrund den 1299 Meter hohen monte Bignone sehen. Von Apricale aus in Rich­tung Süden erblickt man etwa 300 m weiter oben das Adlernest-Dorf Perinaldo, Geburtsort des berühmten Astronomen Gian Domenico Cassini, nach dem in Italien viele Gymnasien benannt sind.

Der Name Apricale leitet sich vom la­tei­ni­schen apricus (sonnen­be­schie­nen) ab. Wären da nicht die ab und zu vor­bei­fah­ren­den win­zigen Ape-Nutz­fahr­zeu­ge, die es ir­gend­wie schaffen, sich durch die engen Gassen des Ortes zu be­wegen, um den Müll abzuführen oder andere Transportleistungen aus­zuüben, könnte man den Beweis als erbracht se­hen, dass es auch ohne Au­to­ver­kehr geht. Quasi autofrei also, ver­schach­telt, 1000 Jahre alt: Dieser "borgo" gilt ohne Zweifel als eines der schönsten Dörfer Italiens.
Die Ursprünge des Ortes sind vermutlich auf die Bronzezeit zurück­zu­führen, was man dank der Auffindung von Hü­gel­grä­bern in der Lo­ka­li­tät Pian del Re nach­ge­wie­sen hat.
Offiziell wur­de Apricale im 9. Jahr­hun­dert von den Grafen von Ven­ti­mi­glia ge­grün­det und erhielt 1267 die älteste autonome Verfassung in Ligurien, die nach der Herrschaft der Gra­fen von Ventimiglia und noch vor dem Einfluss durch die Doria entstand. 1276 ging der Ort an die berühmteste Familie Liguriens, die Doria, die Herrschaftsfamilie von Dol­ce­acqua. Der be­kann­teste Herrscher der Familie war zweifelsohne Andrea Doria, der Namens­geber des berühmten Passagierschiffes.
Die autonome Verfassung des Jahres 1267 regelte das Leben des Ortes bis in die kleinsten De­tails, von der Reglemen­tie­rung der Ar­beit bis hin zu den Steuern und selbst­ver­ständ­lich wurden auch die Strafen für die wichtigsten Vergehen festgelegt. Diese Regeln waren streng bis grau­sam. Das ging von der Ent­haup­tung von Ehe­bre­che­rin­nen bis zur Amputation eines Fußes oder einer Hand für Viehdiebe. Besonders grausam die Strafe für Mord. Der Schuldige wurde mit dem Opfer lebendig begraben.
Wandmalerei in Apricale
1573 zerstörten die Grimaldis aus Monaco das Schloss. 1794 erlitt der Ort den Einfall der Truppen von Napoleon Bonaparte, auf den der Anschluss an die Ligurische Re­pu­blik folgte, und später an Na­po­leons Reich. Nach dem Ende der napoleo­ni­schen Zeit kam im Jahr 1815 der An­schluss an das König­reich Sardinien, wie es im Wiener Kongress von den Sie­ger­mäch­ten bestimmt worden war. 1861 kam der Anschluss an das neu ge­grün­dete Königreich Italien.
Der kleine Ort ist ein andauerndes Ab­wech­seln von steilen Gassen, die im lo­kalen ligurischen Dialekt als "carugi“ bezeichnet werden, Treppen und Trepp­chen, überdach­ten Durch­gängen und Steinarkaden. Die zahl­rei­chen Wand­ma­le­rei­en, die überall im Ort zu sehen sind, sind Wer­ke verschie­de­ner Künstler aus Anlass der "Giornata dell'Affres­co“, einer Ver­an­stal­tung für Fres­ken­ma­le­rei, die bis Mitte der 1980er Jahre alljährlich stattfand. Die Begeg­nung Dorf – Kunst be­gann in den 1960er Jahren, als Künstler aus dem Ausland und aus Italien aus dem Ort eine Art zweites Saint-Paul-de-Vence mach­ten. Seit vielen Jahren wird aus Apricale im Sommer ein Open-Air-Theater.

Um den zentralen Platz Piazza Vittorio Emanuele II. herum befinden sich das San Bartolomeo-Oratorium mit einer schönen Barockfassade, die von einem Glockenturm überragt wird, weiter oben die Pfarr­kirche Purificazione di Maria Vergine und die Lehns­burg (heute Castello della Lucer­tola ge­nannt). Der Kirchturm ist seit dem Jahr 2000 durch ein auf dem Dach befestigtes Fahrrad markant gekennzeichnet.

In der Umgebung von Apricale wird der einzige nen­nens­wer­te DOC-Rotwein Liguriens (anders sieht es bei den Weißweinen aus) angebaut – der Ros­se­se di Dolceacqua.