Kalabrien (italienisch: Calabria) ist die südlichste Region
Italiens, die auf dem Festland liegt. Bildlich gesprochen
nimmt sie die Stiefelspitze der italienischen Halbinsel
ein. Die 'Ndràngheta, in seinen Anfängen Mano Nera (die „schwarze Hand“) genannt, wird heute auch Picciotteria und (wie die sizilianische Mafia) Onorata società (ehrenswerte Gesellschaft) genannt. Sie ist die Vereinigung der kalabresischen Mafia, eine der
gefährlichsten kriminellen Organisationen Italiens. Ihr Betätigungsfeld hat sich längst ausgeweitet
von den schwer zugänglichen Bergregionen Kalabriens nach
Deutschland, Frankreich und Belgien bis hin in die USA.
Als Spezialgebiet der 'Ndrángheta nennen Fahnder
immer häufiger den Kokainhandel. Mit geschätzten
44 Mrd. Dollar Jahresumsatz (2007) gilt die 'Ndrángheta heute als mächtigste kriminelle Vereinigung Europas.
Sprachliches: Der Apostroph am Anfang des Wortes steht für die Auslassung des Anfangsvokals (was im Kalabresischen häufig ist). In diesem Fall des Buchstabens „A“. Das Wort 'Ndrángheta (Betonung auf „a“) könnte aus der
Zusammensetzung zweier griechischer Wörter, andròs
(Mann) und agathòs (Schönheit, Perfektion)
entstanden sein. Diese Abstammung aus dem Griechischen wird dadurch erklärt, dass in manchen Teilen Süditaliens noch griechische Dialekte gesprochen wurden (siehe Magna Graecia).
Die Wurzeln der Organisation reichen weit zurück. Im 19. Jahrhundert entstand sie aus Briganten und Rebellen in den Städten Platì und San Luca. Ab 1950 verbreitete
sie sich in der ganzen Region Kalabrien auch dank der Schwäche
des Staates und der Begünstigung von korrupten Politikern.
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In den 1960er Jahren gewannen drei „cosche“
(Familien) an Bedeutung: die Piromalli in der Ebene von
Gioia Tauro, die Tripodo in Reggio Calabria und die Macrì in der Locride. Während dieser Zeit wurde die 'Ndrangheta auch „anonima sequestri“ („Kidnapping-AG“) genannt, weil sie sich durch Entführungen Geld besorgten. Im Jahr 1977 entführten kalabrische Ganoven allein in Mailand 33 Menschen, um Millionen zu erpressen. Bereits damals hatte sich die 'Ndrangheta in Norditalien eingenistet. In den 1970er und 1980er Jahren fanden zwei
Mafiakriege statt, in denen die jüngeren Generationen gegen die alteingesessenen Bosse der „onorata società“ um die Macht kämpften.
Nach Erkenntnissen europäischer
Drogenermittler stellt die 'Ndrángheta die bedeutendsten
Gruppen im europäischen Kokain-Handel, noch vor den kolumbianischen
Drogenkartellen. Die Dominanz der Ndrángheta
ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es ihr gelang,
Teile des Geschäfts an sich zu reißen, als die sizilianische
Cosa Nostra in den 1990ern unter Druck geriet. Die erträglichsten Geldquellen der 'Ndrangheta sind, nach dem Drogenhandel, der Waffenhandel, die Geldwäsche
und Erpressungen. Mittelpunkt der Organisation ist nach
wie vor Kalabrien mit den Provinzen Reggio Calabria und Crotone.
„Ehrenmänner"
Nach inoffiziellen Angaben
italienischer Ermittler stehen etwa 7000 Mann im Dienst
der 'Ndrángheta, unterteilt in etwa 90 „cosche“
(Familienclans). Das Wort „cosca" stammt aus dem sizilianischen Dialekt und kennzeichnet das durch die äußeren Blätter geschütze Innere der Artischocke. Eine gute Metapher also für eine Geheimgesellschaft. Synonym für „cosca“ ist auch das
kalabresische Wort „'Ndrina„.
Im Gegensatz zur sizilianischen Mafia spielt bei der 'Ndrangheta-Mitgliedschaft
weit stärker die Blutsverwandtschaft eine Rolle.
Dieser ist auch ein größerer Zusammenhalt
zu verdanken: Bislang gab es nur 157 Kronzeugen, die aus der 'Ndrangheta ausgestiegen sind.
Wie stark die ´Ndrángheta immer noch in Kalabrien ist, beweisen jüngste
Zahlen, nach denen 70 Prozent aller Unternehmer in Kalabrien
den sogenannten „pizzo“, das Schutzgeld, zahlen.
Die restlichen 30 Prozent der Unternehmen und Geschäfte
sollen sich demnach direkt in der Hand der 'Ndrangheta befinden.
Die Hierarchie einer
Cosca besteht - von unten nach oben - aus:
Giovane d'onore (ehrbarer Junge): Mitglied aus Blutsverwandtschaft, also
ein Sohn von Mitgliedern und ehemaligen Mitgliedern
Picciotto d'onore:
„Soldat" einer 'Ndrina. Erste wirkliche Hierarchiestufe.
Camorrista:
Mitglied mit mehr Erfahrung als ein picciotto d'onore
und entsprechend mit wichtigeren Aufgaben.
Sgarrista
bzw. Camorrista di sgarro, der die Schutzgelder
eintreibt.
Santista:
Mitglied, der die „Santa“ bekommen hat,
einen Grad für kriminelle Verdienste.
Vangelista: Mitglied des Vangelo, einer Unterorganisation der Vereinigung, so genannt, weil dieMitglieder
die Hand auf das Evangelium gelegt und der Organisation
Treue geschworen haben. Um Vangelista zu werden muss
man bestimmte kriminelle Verdienste erworben haben.
Quintino:
Eine Spitzenposition in der 'Ndrangheta. Dieser
Grad wird nur einer begrenzten Zahl von Mitgliedern gegeben,
welche ganz gewisse Vorrechten und Pflichten haben. Sie
erkennen sich gegenseitig an einer Tätowierung, einem
fünfzackigem Stern.
Associazione: der höchste Grad der 'Ndrangheta. Es handelt sich um eine Art Rat, zu der nur
“ Familien"-Oberhäupter kommen.
So wie
die Kleinstadt Corleone auf Sizilien als Hochburg der Mafia gilt, so gibt es in Kalabrien ein
Ort, das als Hochburg der Ndrángheta
gilt: Plati am Fuß des Aspromonte-Gebirgs. In den Hauswänden sieht man die
Löcher von Pistolenkugeln. Der Berg
unter Platì durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Man findet dort ein Labyrinth aus Höhlen und Gängen, Fluchtwege,
durch die untergetauchte Bosse unauffällig verschwinden konnten.
Trotzdem versucht der italienische Staat immer wieder Herr
der Lage zu werden.
Beispielsweise stürmten 2003
insgesamt mehr als 1000 Carabinieri eiin Dorf mit nur 2800
Einwohnern, wobei 131 Verdächtige festgenommen wurden.
Am 17. Juli 2007 konnte sogar der aktuelle Boss der Ndrángheta,
Giuseppe Bellocco, im Rahmen einer großangelegten
Aktion gefasst werden.
Anfang Juni 2011 verbuchte die Polizei erneut Erfolge im Kampf gegen die 'Ndrangheta und seine wirtschaftlichen Verquickungen im Norden Italiens. Bei einer Razzia in mehreren Städten, unter denen Mailand, Modena und Turin, wurden 142 Personen festgenommen.
Am 11. Oktober 2012 wurde nach fast 20 Jahren Flucht einer der letzten Mafiabosse der 'Ndrangheta gefasst: Domenico Condello wurde in einem Vorort der Provinzhauptstadt Reggio Calabria verhaftet.
Nach dem Mord und der Verbrennung eines Dreijährigen in einem Auto exkommunizierte Papst Franziskus im Juni des Jahres 2014 alle Mitglieder der 'Ndrangheta bei seiner Rede in der Stadt Cassano all'Ionio (Kalabrien), Hochburg der 'Ndrangheta.
Am 30. Januar 2016 wurden in einem Betonbunker nahe Maropati durch die Polizia di Stato die seit mehreren Jahren gesuchten Bosse der 'Ndrangheta, Giuseppe Crea und Giuseppe Ferraro gefasst. Der 37-jährige Crea war seit 10 Jahren auf der Flucht, der 48-jährige Ferraro hingegen seit 18 Jahre.