Das Trinkverhalten der Italiener |
Italien ist ohne Zweifel eine alkoholpermissive Kultur, in der Alkoholkonsum bei bestimmten Gelegenheiten akzeptiert wird. Traditionell ist Alkohol in Italien Alltagsgetränk, es wird hauptsächlich zum Essen getrunken, jedoch in kleineren Mengen. Zu keinem Zeitpunkt war Italien ein Land, in dem Alkohol schwerpunktmäßig außerhalb der Mahlzeiten getrunken wird, an Wochenenden und bei Feiern, und dann sogar in größeren Mengen, wie das etwa in Skandinavien der Fall ist. |
Italien ist ein Weinanbaugebiet, deshalb spricht man – wenn von Alkoholkonsum die Rede ist – hauptsächlich vom Wein. In Italien gehört traditionell das Glas Wein zum Mittag- wie auch zum Abendessen selbstverständlich dazu. Wie bereits erwähnt, wird üblicherweise – regional und altersmäßig unterschiedlich – außerhalb der Mahlzeiten kein Wein getrunken. Erwarten Sie nicht, wenn Sie in Italien privat eingeladen werden, dass Ihnen gleich bei Ihrer Ankunft ein Glas Wein angeboten wird. Lediglich vor dem Essen ist ein Aperitif üblich. Ebenso ist das in Deutschland übliche „Geselligkeitstrinken" nach dem Essen, bei dem ein „Edler Tropfen" nach dem anderen getrunken wird, unüblich. |
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Das Bedürfnis junger Menschen nach Akzeptanz in der Gruppe hat sehr viel dazu beigetragen, dass das Alter, in dem in Italien begonnen wird zu trinken, immer niedriger geworden ist. Das traditionelle Modell von einem Glas Wein zum Mittag- und zum Abendessen hat an Zuspruch verloren (siehe weiter unten): Immer mehr junge Menschen konsumieren Alkohol gelegentlich am Wochenende oder außerhalb der Mahlzeiten – manchmal sogar anstelle der Mahlzeiten selbst – und das auch in sehr hohen Mengen. Dieses Phänomen ist besonders stark im Veneto und in den anderen Regionen des Nordens, wo mehr getrunken wird als im übrigen Italien, in allen Altersgruppen, aber vor allem seitens junger Menschen. |
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Doch „o tempora, o mores!“ Auch die Trinksitten ändern sich in Italien. Der Alkoholkonsum bei der Jugend ist gestiegen und die alkoholischen Getränke werden nicht mehr fast ausschließlich zu den Mahlzeiten getrunken. Vor allem bei Jugendlichen wird der Alkoholkonsum auf den Straßen und Plätzen immer beliebter. |
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Dagegen sind Mailand, Rom und andere italienische Städte verstärkt vorgegangen. So muss in Rom jeder mit 50 Euro Bußgeld rechnen, der nach 21:00 Uhr im Freien etwa Bier, Wein oder Hochprozentiges trinkt. |
In Mailand gilt das Verbot nur für junge Leute unter 16 Jahren. Den Bars und Lokalen, die trotzdem am Abend den Straßenverkauf von Alkohol fortsetzen, droht der Lizenzentzug. |
Auf alle Altersgruppen umgerechnet ist zwar die Zahl der Alkoholkonsumenten in Italien in den letzten Jahrzehnten insgesamt gestiegen, dafür hat aber der Konsum pro Kopf abgenommen. Besonders die Anzahl der starken Trinker hat sich deutlich verringert. |
Wein ist zwar immer noch das beliebteste alkoholische Getränk der Italiener (50 Liter/Jahr pro Kopf), doch er verliert langsam seinen Stellenwert. Sein Konsum hat sich in den letzten Jahrzehnten fast auf die Hälfte reduziert. Dies ist zum großen Teil auf die veränderten Lebensgewohnheiten zurückzuführen: Italiener verbringen insgesamt weniger Zeit beim Essen und es hat sich auch in Italien ein größeres Gesundheitsbewusstsein eingestellt. |
Die klassische Familie löst sich langsam auf und die traditionellen gemeinsamen Mittagsmahlzeiten finden – besonders in den großen Städten im Norden Italiens – seltener statt. Laut den aktuellen (2015) Statistikdaten des ISTAT (Nationales Institut für Statistik) wird zwar noch in 70 % der Fälle die Hauptmahlzeit in den heimischen vier Wänden eingenommen, aber bei den Männern zwischen 35 und 44 liegt die Quote nur noch bei 51,3 %. |
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Das Trinkverhalten unterscheidet sich in Italien sehr stark von Generation zu Generation. Etwa 70 % der Italiener, die älter als 65 Jahre sind, trinken täglich Wein, bei den 16- bis 35-Jährigen sind es nur noch 13 %. |
Die Generation der 60-Jährigen trinkt seltener Wein – und das hauptsächlich am Abend, im Kreise der Familie. Dafür ist das Bewusstsein für Qualität gestiegen. DOC- und DOCG-Weine werden immer beliebter. Seltener wird mit Freunden in einer Bar getrunken. Niemals am Arbeitsplatz. |
Die Rolle des „Geselligkeitsgetränks" übernimmt immer mehr das Bier. Dennoch bleibt sein Konsum mit 29 Litern pro Kopf weit unter dem europäischen Durchschnitt von 80 Litern. |
Bei der Generation der 40-Jährigen hat interessanterweise eine Trendumkehr stattgefunden. In jüngeren Jahren hatte sich ihr Trinkverhalten jenem von Nordeuropa angenähert (Bier und hochprozentige Alkoholika, Trinken in der Freizeit mit häufigeren Exzessen). Heute ist ein Trend zurück zu den traditionellen Konsumgewohnheiten – etwa jenen der Eltern – zu beobachten: im Zeichen der Mäßigung. Man trinkt wieder hauptsächlich bei den Mahlzeiten. |
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Bei der Generation der 20- bis 30-Jährigen herrschen regelübertretende Verhaltensweisen vor, die in Widerspruch zu jenen der Eltern stehen. Hier ist die Nähe zum Trinkverhalten Nordeuropas am Größten. Der Eintritt in eine reifere Lebensphase – mit dem Beginn der Arbeit, der Eheschließung und der Geburt der Kinder – trifft allerdings mit einem bewussteren und mäßigeren Alkoholkonsum zusammen. Dies bestätigt die Selbstregulierungsfähigkeiten des mediterranen Lebensmodells, welches – unabhängig von jeglicher staatlichen Intervention – im Laufe der Zeit zu einer Beschränkung des Alkoholkonsums führt. |
In der Tat ist der Pro-Kopf-Konsum reinen Alkohols in Italien im Vergleich zum EU-Durschnitt ziemlich niedrig. OECD-Zahlen zufolge ist der Alkoholkonsum der italienischen Bevölkerung mit 6,1 Litern pro Jahr etwa halb so hoch wie in Österreich. In Deutschland sind es zehn Liter. Am meisten wird in der EU in Litauen (12,7 Liter) und Estland (12,3 Liter) getrunken. Das klassische Weinland Frankreich liegt bei 11,8 Liter Alkohol pro Kopf. |
Andrerseits schätzt das ISTAT, dass mehr als 8 Millionen Menschen (etwa 15 % der Bevölkerung) ein Trinkverhalten aufweisen, welches zu Gesundheitsschäden führen kann, mit steigender Tendenz bei den Jugendlichen. Damit sind jene gemeint, die entweder einen regelmäßigen, zu hohen Alkoholkonsum aufweisen (Alkoholismus) oder sich durch sogenanntes „binge drinking“ (Trinkgelage, das zu Besäufnis führt) gefährden. Das sind – die Jugendliche betreffend – Spitzenwerte in Europa. |
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Obwohl der Alkoholismus in Italien nicht weniger verbreitet ist als in anderen EU-Ländern, muss es jedem Besucher des Landes bald auffallen, dass man eher selten Betrunkene in der Öffentlichkeit sieht. Das ist darauf zurückzuführen, dass Trunkenheit in Italien ein Tabubruch ist, sie weckt Ablehnung und Empörung, sie widerspricht den guten Umgangsformen, die den Italienern sehr wichtig sind. Als Betrunkener macht man keine „bella figura“. Gesellschaftlich ist der exzessive Alkoholgenuss sehr wenig toleriert. Deshalb zieht er sich ins Private zurück, dort wo der Nachbar es nicht sehen kann: Italienische Alkoholiker betrinken sich zu Hause – aus Scham. |
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